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CB 2025, I
Gerdemann 

CB 2025, Heft 06, Umschlagteil S. I (I)

Wer zu spät kommt, den bestraft der EUGH

„Das HinSchG entspricht auch inhaltlich nicht der Whistleblowing-Richtlinie.“

Geld ist im politischen Geschäft nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts. Diese Erkenntnis hat sich aktuell einmal mehr in den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD durchgesetzt, in denen man sich entgegen teils anderslautender Bekundungen im Wahlkampf für manche überraschend schnell auf eine Neuverschuldung von mehreren hundert Mrd. EUR verständigt hat. Angesichts solcher Summen mag verständlich erscheinen, warum ein vergleichsweise geringer Betrag von 34 Mio. EUR in der deutschen Medienlandschaft keine besondere Aufmerksamkeit erregt hat. Zur Zahlung eben dieses (Sanktions-)Betrages wurde die Bundesrepublik Deutschland kurz nach der Bundestagswahl im März 2025 vom Europäischen Gerichtshof verurteilt (EUGH, Urt. v. 6. 3. 2025 – C-149/23). Grund für diese – erstmalige und insofern rechtshistorische – Verurteilung Deutschlands im Verfahren nach Art. 258, 260 Abs. 3 AEUV war die erheblich verspätete Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie (Richtlinie 2019/1937), die nicht wie von ihrem Art. 21 Abs. 1 vorgesehen bis zum 17. 12. 2021, sondern erst mit dem am 2. 7. 2023 weitgehend in Kraft getretenen Hinweisgeberschutzgesetz und diversen noch späteren Landesgesetzen umgesetzt wurde.

Um der in eingeweihten Compliance-Kreisen schon lange erwarteten Sanktionszahlung zu entgehen, hatte die Bundesrepublik im Verfahren allerlei Gründe vorgebracht, warum ihr ein rechtzeitiges Tätigwerden nicht möglich gewesen sei: Zu schwierig die Gretchenfrage nach der erforderlichen Erstreckung des sachlichen Anwendungsbereichs auf nationale Rechtsverstöße (Rn. 30), um die vor allem CDU/CSU und SPD gerungen hatten. Zu teuer und damit wirtschaftspolitisch sensibel die Einrichtung interner Meldestellen in Wirtschaft und Verwaltung (Rn. 31), die vor allem bei der FDP auf wenig Gegenliebe gestoßen war. Dazu noch eine Bundestagswahl am Ende der Umsetzungsfrist und die allgemeinen Unwägbarkeiten des bundesdeutschen Föderalismus (Rn. 32 f.). Der EUGH zeigte sich von all dem wenig beeindruckt. Mit Verweis darauf, dass es sich bei der Whistleblowing-Richtlinie um ein entscheidendes Instrument des Unionsrechts mit besonderer Bedeutung für das öffentliche Interesse handele und durch die verspätete Umsetzung der Schutz von Hinweisgebern und mögliche Meldungen verhindert worden seien, stellte das Gericht eine besondere Schwere der Vertragsverletzung fest und begründete hiermit die Höhe der ausgeurteilten Sanktionssumme (Rn. 93 f.). Geteilt wird diese Bewertung von der Europäischen Kommission, die es sich nicht hat nehmen lassen, scheinbar beiläufig darauf hinzuweisen, dass das HinSchG auch inhaltlich nicht den Vorgaben der Whistleblowing-Richtlinie entspricht (Rn. 38 f.), womit bereits der Boden für ein mögliches zweites Vertragsverletzungsverfahren bereitet ist1.

Eine etwas andere Perspektive auf bestehende Regelungsbedarfe im Bereich Compliance scheint demgegenüber in den Koalitionsverhandlungen vorgeherrscht zu haben. Im nun ausgehandelten Koalitionsvertrag finden sich zwar keine Hinweise auf die Whistleblowing-Richtlinie, immerhin aber zwei Passagen zu diversen Gesetzeswerken mit Compliance-Bezug, u.a. aus den Bereichen Lieferketten und Nachhaltigkeit (Rz. 1903 ff., 1994 ff.). Emphatische Bekenntnisse zum öffentlichen Interesse an einer effektiven Compliance-Organisation und ihrem unternehmerischen Mehrwert sollte man unter den einschlägigen Überschriften „Bürokratierückbau“ und „EU-Bürokratierückbau durch die Bundesregierung“ allerdings nicht erwarten. Eher scheint es, als habe das Schreckgespenst des wirtschaftlichen Niedergangs das alte Bild von Compliance als reinem Kostenfaktor zurückgebracht. Mit Blick auf das beeindruckende Ausgabenvolumen der künftigen Bundesregierung und das drohende Ungemach eines weiteren Vertragsverletzungsverfahrens hätte es sich freilich angeboten, die unionsrechtlich geforderte Reform des Hinweisgeberrechts jedenfalls kurz zu erwähnen – wenn schon nicht als eigenen Abschnitt, dann vielleicht ja unter der im Finanzteil fehlenden Überschrift „Gegenfinanzierung“.

Abbildung 1

Dr. Simon Gerdemann, LL. M. (Berkeley), ist Vertreter des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Kartellrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Göttingen und Leiter eines DFG-Projekts zur Erforschung des deutschen und europäischen Whistleblowing-Rechts.

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Gerdemann, ZRP 2024, 170.

 
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