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CB 2019, I
Mengers 
CB 2019, Heft 03, Umschlagteil S. I (I)

„Hat Ehrbarkeit noch eine Zukunft?“

Abbildung 1

Wie wird heutzutage auf die Begriffe „Ehrbarkeit“ und noch weitergehend „Ehrbarer Kaufmann“ reagiert? Führen sie zu einem nachsichtigen Lächeln, mit dem Hinweis auf längst vergangene Zeiten? Sind diejenigen, die dafür einstehen, aus der „Old World“, weil sich vielleicht keiner mehr so richtig vorstellen kann, dass mit der Einhaltung der Wertebegriffe erfolgreich gearbeitet werden kann?

Das Wirtschaftsklima wird durch ständig neu hinzukommende Marktplayer rauer. Der Wettbewerb und der Margendruck scheinen ständig härter zu werden. So ist es auch für den Einzelnen nicht ganz einfach, sich nach bestimmten Maßstäben ordentlich und fair zu verhalten. Da können die Grenzen des Anstandes und der Berechenbarkeit schon einmal verwischen. Ist der gute Ruf überhaupt noch das Ziel unternehmerischen Handelns oder setzt der vermeintliche Siegeszug des Kapitalismus Anstand außer Kraft? Kann man bei den hohen Renditeansprüchen überhaupt noch ehrbar bleiben? Bei einigen Verhaltensformen, mit denen wir täglich konfrontiert werden, hat man den Eindruck, dass das Zitat aus Goethes Faust „Mich plagen keine Skrupel und Zweifel, fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel“ häufig als Basis für Handeln genommen wird. Es scheint sich immer mehr der Bedarf zu entwickeln, dass Unternehmen und somit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Leitlinien benötigen, an denen sie sich im täglichen Leben moralisch orientieren können. Das sind bekannte Begriffe wie:

  • Social Corporate Responsibility

  • Corporate Governance

  • Compliance und immer wieder Compliance

Die Menschen fühlen sich durch Richtlinien teilweise so eingeengt, dass sie nicht mehr nach eigenen Moralvorstellungen agieren, sondern erst einmal die Compliance–Vorgaben konsultieren. Kein Missverständnis, nichts spricht gegen Compliance oder schlicht ausgedrückt: gesetzeskonformes Verhalten.

Der damalige Kommissionsvorsitzende der Corporate Governance Kommission Dr. Manfrede Gentz hat 2015, vermutlich nach vielen Sitzungen und intensiven Dokumentationen, eine ziemlich kurze Empfehlung ausgesprochen: „Verhalten Sie sich wie ein ehrbarer Kaufmann!“

Ganz schlicht – ganz einfach. Das ist für die Grundgedanken, die mit dem Begriff „Ehrbarer Kaufmann“ in Verbindung gebracht werden, wie ein Ritterschlag, wie ein Jungbrunnen. Leitlinien, wie Anstand, Zuverlässigkeit, das Prinzip von Treu und Glauben, Ausgewogenheit zwischen kaufmännischem Streben und sozialer Verantwortung – zusammengefasst werteorientiertes Handeln – ist immer modern und das wird auch immer so bleiben. Es ehrt, wenn Anstand und werteorientiertes Handeln sehr eng an kaufmännische, manchmal auch regional geprägte Verhaltensformen angelehnt werden. Das ist auch in Ordnung. Aber für gutes Verhalten gibt es keine regionalen Abgrenzungen, wenngleich es auch in anderen Ländern unterschiedliche Auffassungen dazu gibt. Dass Tradition nicht das Synonym für Gedanken von gestern ist, das sehen wir an der „Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e. V.“ (VEEK). Die VEEK ist ein Zusammenschluss von Hamburger Kaufleuten, die sich für ein werteorientiertes Verhalten im Wirtschaftsleben einsetzen. Die Wurzeln der VEEK gehen bis ins Jahr 1517 zurück und die Erhaltung der gemeinsamen Werte, wie Beständigkeit, Weltoffenheit und Verlässlichkeit sind das Bindeglied der Vereinigung, die bereits seit 502 Jahren besteht.

Es ist sehr deutlich wahrzunehmen, sicher auch im Zusammenhang mit negativen Ereignissen bei weltweit tätigen Unternehmen, dass das Zusammenwirken zwischen kaufmännischem Streben und sozialer Verantwortung eine Renaissance erlebt. Trotz oder wegen des rasanten technischen Fortschritts entsteht bei vielen, gerade jüngeren Menschen, der Wunsch, sich generations- und hierarchieübergreifend auszutauschen und auf Werte zu besinnen. Die Reputation von Unternehmen, die von wertegeleiteten Menschen geführt werden, ist sehr hoch und es zeigt sich immer mehr, dass langfristige Zuverlässigkeit deutlich vor einem kurzfristigen Erfolg steht, der vielleicht auf einer nicht so verhaltenssauberen Grundlage zustande gekommen ist. In der Literatur wird gelegentlich zwischen Individualethik und Institutionsethik unterschieden. Ist letzteres etwa ein Freifahrschein für wertefreies Handeln? Es sind nun einmal die Führungskräfte, die Orientierungen vorgeben müssen, und dazu gehören eben auch moralisch-ethische Ansprüche. Wir sollten und dürfen daher die einzelne Person mit Führungsverantwortung nicht aus dieser Verantwortung entlassen. Da sind auch Hinweise auf „andere Länder, andere Sitten“ und unterschiedliche juristische Beurteilungen unwesentlich. Anstand kennt keine Grenzen und ist auch nicht immer in Bestimmungen nachlesbar.

Es gehört mit zu unseren Aufgaben, auch den nachfolgenden Generationen klar zu vermitteln, dass zuverlässiges Handeln immer Zukunft haben wird und dass die Verantwortung dafür nicht bei Institutionen liegt, sondern bei den verantwortlichen Personen. Das wird umso wichtiger, als künstliche Intelligenz definitiv vielfältige Aufgaben übernehmen wird. Die „Moral“ eines Algorithmus muss von Menschen bestimmt werden, nicht etwa von einem anderen Algorithmus!

Gunter Mengers ist Vorsitzender der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e. V. (VEEK).

 
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