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Drinhausen 

Verbandssanktionengesetz – Quo vadis?

Abbildung 1

Selten hat ein Gesetzesvorhaben in jüngerer Zeit die Gemüter so stark erhitzt wie das “Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft” (“Verbandssanktionengesetz”). Dieses bereits im Koalitionsvertrag verankerte Gesetzesvorhaben verfolgt das Ziel, in Deutschland die angemessene Ahndung von Straftaten, die aus Unternehmen heraus begangen werden, zu ermöglichen. Seit das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) aber im August letzten Jahres einen Referentenentwurf des geplanten Gesetzes veröffentlichte, reißt die Kritik daran nicht mehr ab. Zu dem im April dieses Jahres veröffentlichten Regierungsentwurf des Verbandssanktionengesetzes wurden über 60 Stellungnahmen abgegeben, die überwiegend nicht mit Kritik sparen. Ganz ohne die sonst übliche Zurückhaltung wird von verschiedensten Seiten mit oft harschen Worten die grundlegende Konzeption des Gesetzes in Frage gestellt und Verletzung fundamentaler rechtsstaatlicher Prinzipien gerügt. Es droht, so scheint es, der Untergang des Rechtsstaates.

Lange Zeit sah es so aus, als ob das Gesetzesvorhaben angesichts dieser Kritik in der Schublade verschwinden würde. So ist es aber nicht gekommen. Der Bundesrat, dem gleich zwei Anträge zur grundlegenden Ablehnung bzw. Überarbeitung des Gesetzesvorhabens vorlagen, beschränkte sich im September dieses Jahres stattdessen auf Kritik an einzelnen Aspekten des Gesetzentwurfs und punktuelle Änderungsvorschläge. Die Anträge zur grundlegenden Ablehnung oder Überarbeitung des Gesetzesvorhabens fanden keine Mehrheit. Nun hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf – im Wesentlichen unverändert gegenüber dem Regierungsentwurf – am 21. Oktober dieses Jahres in den Bundestag eingebracht. Die Fundamentalopposition gegen das Gesetz und die Strategie derer, die darauf setzten, das Gesetz gänzlich zu Fall zu bringen, ist damit aller Voraussicht nach gescheitert.

Worum geht es eigentlich? Das Gesetzesvorhaben verfolgt redliche Ziele: Angemessene Sanktionierung der schwarzen Schafe ohne Benachteiligung kleiner und mittelständischer Unternehmen gegenüber Großkonzernen, Anreize zur Schaffung einer starken Compliance-Funktion, Belohnung von Kooperation in Verfahren und ein abschreckender Strafrahmen. Auch die Reformbedürftigkeit des deutschen Rechts, das – so muss man konstatieren – international bei Unternehmensstraftaten kein besonderes Ansehen genießt, steht praktisch außer vernünftigem Zweifel. Womit sich die Frage stellt, warum sich die Gemüter so stark erhitzen. Bei Licht betrachtet geht es um wenige Kernpunkte, die vorliegend allerdings nur kurz angesprochen werden können.

Zu nennen ist hier zunächst der Sanktionsrahmen, der, vergleichbar mit Strafen im Kartellrecht, gegenüber der derzeitigen Gesetzeslage deutlich erweitert und gestaffelt an den Konzernumsatz des Verbandes angeknüpft werden soll. Bei ehrlicher Betrachtung ist dies – wenngleich oft behauptet – weder “einzigartig” – ähnliche Regelungen finden sich bereits in zahlreichen Gesetzen, noch für Unternehmen “bestandsgefährdend”. Die bisherigen Erfahrungen in der Praxis deuten darauf hin, dass die staatlichen Behörden – kontrolliert von den Gerichten – angemessen mit dem ihnen gegebenen Ermessensspielraum umgehen werden. Zweiter Kernpunkt ist die vorgesehene strikte Trennung von Unternehmensverteidigung und interner Untersuchung. Es lässt sich schlicht nicht bestreiten, dass beides in einem Zielkonflikt miteinander stehen kann – aber nicht muss. Um derartige Diskussionen und Zweifel an der Integrität einer internen Untersuchung gar nicht erst aufkommen zu lassen, ist es in der Praxis heute ohnehin bereits üblich, dass bedeutende interne Untersuchungen von Dritten oder der Revision unabhängig durchgeführt werden und von der Unternehmensverteidigung getrennt sind. Welcher vernünftige Manager würde auch ohne triftigen Grund seine interne Untersuchung Zweifeln an ihrer Integrität aussetzen, die ihren Wert grundlegend gefährden könnte? Die Kritik an diesen Punkten des Gesetzentwurfs erscheint überzogen und gibt Raum für Zugeständnisse. Andererseits verkennt die Bundesregierung ganz offensichtlich den faktischen Druck zur Kooperation auf Unternehmensorgane, den die im Gesetzesentwurf hierfür vorgesehenen Anreize auslösen. Kaum ein Manager wird sich angesichts der Aussicht auf verbindliche Sanktionsminderung für sein Unternehmen einer Kooperation verschließen können. Das Risiko persönlicher Haftung wäre schlicht zu schwer kalkulierbar. Zugleich wird Managern aber die Entscheidung über eine Kooperation zu einem Zeitpunkt abverlangt, zu dem sie in aller Regel den Sachverhalt nicht einmal ansatzweise überblicken können. Die zahlreiche Kritik an dieser – im Grundsatz begrüßenswerten Regelung – ist sehr berechtigt und verdient das Gehör des Gesetzgebers. Dasselbe gilt für die zusätzlichen administrativen Belastungen, die mit dem Gesetz auf kleine und mittelständische Unternehmen zukommen. Diese verfügen heute oft nicht über spezielle Compliance-Abteilungen und benötigen sie in der Regel eben auch nicht. Um in den Genuss der im Gesetzesentwurf vorgesehenen Sanktionsmilderung zu gelangen, müssten sie voraussichtlich derartige Organisationsstrukturen schaffen. Es erscheint sinnvoll, wenn das Gesetz insoweit weitaus mehr differenzieren würde als bisher vorgesehen.

Was muss passieren? Das Gesetzgebungsvorhaben ist von viel zu großer praktischer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, als dass sich die verschiedenen Seiten bis zum bitteren Ende unversöhnt gegenüberstehen könnten. Zugleich gibt es ausreichend Raum für vernünftige Kompromisse, die der Sache dienen. Dafür müssten alle Seiten – vermutlich – jeweils nur wenige Schritte aufeinander zugehen. Der Raum dieses kurzen Beitrags reicht nicht ansatzweise aus, um sämtliche Themen und Lösungsoptionen auch nur zu beleuchten. Es wäre aber sehr wünschenswert, wenn die Beteiligten auf allen Seiten noch den Mut fänden, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens aufeinander zuzugehen, mit dem Ziel, letztendlich ein von gemeinsamer Überzeugung getragenes Gesetz zu schaffen.

Prof. Dr. Florian Drinhausen beschäftigt sich seit vielen Jahren praktisch und wissenschaftlich mit Themen des Gesellschaftsrechts und der Governance. Er war Partner der Rechtsanwaltskanzlei Linklaters und von 2014 bis Mitte 2020 in verschiedenen Führungspositionen bei der Deutsche Bank tätig, zuletzt als deren Chefjustitiar. Herr Drinhausen ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der EBS Universität für Wirtschaft & Recht sowie Mitherausgeber der in der dfv Mediengruppe, Fachbereich Recht und Wirtschaft, erscheinenden ZHR.

 
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