Verbandssanktionen: Reform mit Augenmaß
Das geltende Recht der Verbandsgeldbuße ist reformbedürftig. Die Reform ist aber mit Augenmaß und ohne Gefährdung Deutschlands als Wirtschaftsstandort anzugehen. Diesen Anspruch verfehlt der am 22. August 2019 von Bundesjustizministerin Lambrecht der Öffentlichkeit präsentierte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität.
Der Gesetzesvorschlag, der den Regelungsauftrag aus dem Koalitionsvertrag umsetzt, enthält einige Überraschungen. So spricht der Referentenentwurf von Verbandsstraftaten, erlaubt bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 100 Mio. Euro eine Verbandsgeldsanktion von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes und ermöglicht neben der Verbandsauflösung auch die Eintragung von Daten eines verurteilten Verbandes in ein neues Verbandssanktionenregister (s. hierzu auch Makowicz, BB 39/2019, “Die Erste Seite”).
Der Münchner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes geht bewusst einen anderen Weg. Der von den Autoren zusammen mit Hans-Peter Huber und Ole Mückenberger verfasste Alternativvorschlag kann als Gegenentwurf zum Referentenentwurf gelesen werden, obwohl er nur in Erwartung, nicht in Kenntnis des Referentenentwurfs erarbeitet wurde. Er unterscheidet sich vom Gesetzentwurf des BMJV hauptsächlich in fünf Punkten, die sein Ziel zum Ausdruck bringen, die Sanktionierung von Verbänden auf eine eigenständige und verhältnismäßige Grundlage zu stellen:
Erstens kennt der Münchner Entwurf keine Verbandsstraftaten. Er schafft nur ein Verbandssanktionengesetz, das auf neuer eigenständiger Grundlage die Schwächen des bisherigen unselbständigen Ordnungswidrigkeitenrechts effektiv behebt. Es besteht kein Bedürfnis, deutsche Unternehmen zu kriminalisieren.
Zweitens ist es unverhältnismäßig, alle Verbände einem Sanktionengesetz mit gleichen Sanktionen zu unterwerfen. Wenn der Münchner Entwurf wie der Referentenentwurf die Verbandssanktionierung vom geltenden defizitären Opportunitätsprinzip auf das Legalitätsprinzip umstellt und zugleich die Verbandssanktionierung bei vor- und nachtatlicher Verbands-Compliance mildert, dann dürfen kleine Verbände, die nicht über die finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten zu einer derartigen Compliance verfügen, nicht unter das Verbandssanktionengesetz fallen. Entsprechend schließt der Münchner Entwurf kleine Stiftungen, kleine nicht wirtschaftliche Vereine und – in Anlehnung an die KMU-Definition der Europäischen Kommission – kleine Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten und 10 Mio. Euro Jahresumsatz von seinem Anwendungsbereich aus. Zudem wird die Verbandssanktionierung nach umsatzbezogenen Höchstgrenzen gestaffelt. Während der Referentenentwurf nur die 100-Millionen-Euro-Umsatzschwelle aufweist, unterteilt der Münchner Entwurf die Verbandssanktionierung nach Unternehmen mit Jahresumsatz-Schwellen von 10 Mio. bis unter 500 Mio. Euro, 500 Mio. bis 2 Mrd. Euro und über 2 Mrd. Euro. Das schützt mittelständische Unternehmen.
Drittens zielt der Münchner Entwurf auf eine streng verhältnismäßige Verbandssanktionierung. Wie der Referentenentwurf wird für die Verbandsverantwortlichkeit zunächst an das im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) bewährte Zurechnungsmodell aus “Repräsentantenhaftung” (§ 30 OWiG) und “Aufsichtspflichtverletzung” (§ 130 OWiG) angeknüpft. Anders als der Referentenentwurf behandelt der Münchner Entwurf dann aber nicht nur Straftaten und Ordnungswidrigkeiten als Anknüpfungstaten gleich, sondern schließt für Exzesstaten explizit die Verbandszurechnung aus. Darüber hinaus stärkt der Münchner Entwurf die Ahndungskomponente der Verbandsgeldzahlung, indem er gegenüber dem insoweit defizitären geltenden Recht schärfere Höchstgrenzen einführt. Anders als der Referentenentwurf, der mit der 10-Prozent-Umsatzgrenze für Unternehmen über 100 Mio. Euro Jahresumsatz keine feste Höchstgrenze vorsieht, kappt der Münchner Entwurf allerdings die Sanktionierung bei 200 Mio. Euro Verbandsgeldzahlung als Höchstgrenze (zuzüglich Einziehung).
Viertens kennt der Münchner Entwurf weder die Sanktion einer Verbandsauflösung (“Todesstrafe”) noch eine bis zu 15 Jahre währende Eintragung in ein Verbandssanktionenregister. Der Münchner Entwurf eröffnet lediglich die Sanktion der Bekanntmachung der Verurteilung bei einer großen Zahl von Geschädigten. Zudem kann der verurteilte Verband die Bekanntmachung bei einer öffentlichen Entschuldigung abwenden.
Fünftens legt der Münchner Entwurf einen Schwerpunkt auf Regelungen zur Berücksichtigung von vor- und nachtatlicher Verbands-Compliance, um hinreichende Anreize für ein normkonformes Verbandsverhalten zu schaffen. So legt der Münchner Entwurf ausdrücklich die Anforderungen an vor- und nachtatliche Verbands-Compliance fest, die zu einer Privilegierung bei Verfolgung und Sanktionierung führen können. Zudem regelt der Münchner Entwurf anders als der Referentenentwurf die internen Untersuchungen in einem eigenen Kapitel mit erweitertem Beschlagnahmeschutz. Leitidee ist die Kooperation zwischen dem Leiter der internen Untersuchungen und der Staatsanwaltschaft, wobei das staatliche Ermittlungsmonopol unangetastet bleibt. Beides schafft Rechtssicherheit.
Prof. Dr. Frank Saliger (li.) ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Of Counsel in der Kanzlei Tsambikakis & Partner in Köln. Er gibt u. a. die Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) mit heraus, hält Vorträge im In- und Ausland und ist regelmäßig als Gutachter tätig. Seit Oktober 2014 ist er ständiger Gast im Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer.
Prof. Dr. Michael Tsambikakis (re.), RA/FAStrafR/FAMedizinR, ist Gründer und Partner in der auf alle Fragen rund um das Wirtschafts-, Steuer- und Medizinstrafrecht spezialisierten Kanzlei Tsambikakis & Partner in Berlin. Er ist Honorarprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Passau sowie ein gefragter Referent, Autor und Gutachter zu allen Fragen des Wirtschaftsstrafrechts und Medizinstrafrechts.