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BB 2020, I
Düwell 

Schwere Geburt: Jetzt auch Digitalisierung der Betriebsratsarbeit

Abbildung 1

Seit Jahren haben einige Vorstände von DAX-Konzernen die Zulassung von Video- und Telefonkonferenzschaltungen gefordert. Ihnen ging es vor allem um die Sitzungen der Gesamt- und Konzerbetriebsräte. Ihr Ziel war, die Mitbestimmungsprozesse zu beschleunigen, die Anzahl der Dienstreisen einzuschränken und Reisekosten einzusparen. Sie stießen indes auf strikte Ablehnung bei vielen Betriebsräten und den Gewerkschaften des DGB. Der Ausbruch der Corona-Pandemie und die Notwendigkeit eines Shutdown änderten die Lage. Viele Arbeitgeber erkannten die Chance, unter Einhaltung der pandemiebedingten Einschränkungen Arbeitsprozesse ins Homeoffice zu verlagern. Vor allem diejenigen, die infolge Vorerkrankungen wegen einer Infektion besorgt sind, nutzen gerne die Möglichkeit, digital von zu Hause zu arbeiten. Zwar haben schon vor der Corona-Krise Berufstätige im Homeoffice gearbeitet. Das Potenzial ist bislang jedoch nicht ausgeschöpft. Eine gemeinsame Expertise des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt in den Büroberufen noch ein Potenzial von 30 % an.

Der Anfang März gestartete Zug in Richtung Digitalisierung wurde jedoch jäh gestoppt. Als das Arbeitsministerium erwog, vorübergehend auch die Betriebsratstätigkeit für die Digitalisierung zu öffnen, stellten sich einige DGB-Gewerkschaften und Konzernbetriebsräte dem entgegen. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, griff darauf am 22.3.2020 zu einem außergewöhnlichen Mittel. Er gab “zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit der Betriebsräte mit Blick auf COVID-19” am 23.3.2020 die Ministererklärung ab: “Der Normalfall ist, dass die Betriebsratsmitglieder zu einer Sitzung zusammenkommen; die Nutzung von Video- oder Telefonkonferenzen ist nicht explizit im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen. Von einem solchen Normalfall können wir hier jedoch nicht sprechen, denn wir haben es mit einer Ausnahmesituation zu tun. Wir sind daher der Meinung, dass in der aktuellen Lage, wenn beispielsweise die Teilnahme an einer Präsenzsitzung zu Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Betriebsratsmitglieder führt oder wegen behördlicher Anordnungen nicht möglich ist, auch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz einschließlich online gestützter Anwendungen zulässig ist. Dies gilt sowohl für die Zuschaltung einzelner Betriebsratsmitglieder als auch eine virtuelle Betriebsratssitzung.”

Die Gewerkschaft ver.di begrüßte die Erklärung. Dieser Ansatz sei einer vorschnellen Änderung des BetrVG vorzuziehen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung konterte zu Recht, “juristisch betrachtet” könne die Ministererklärung nicht “die notwendige Anpassung des BetrVG ersetzen”. Der Arbeitsrechtler Däubler lobte die Ministererklärung “als mutig”. Inhaltlich lasse sie sich aber nur “eventuell mit einer Analogie zu § 41a des Gesetzes über Europäische Betriebsräte rechtfertigen”. Der Datenschützer Wedde trat ihr entgegen: “Das BetrVG schreibt vor, dass Betriebsratssitzungen nicht öffentlich sind und dass Beschlüsse hier mit der Mehrheit der Anwesenden gefasst werden müssen. Diese gesetzlichen Vorgaben stehen Betriebsratssitzungen per Telefon- und Videokonferenzen entgegen, zumal hierbei die notwendige Vertraulichkeit nicht gewährleistet ist. Daran ändert aus juristischer Sicht auch die Erklärung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vom 23.3.2020 nichts.”

Wedde ist zuzustimmen. Ministerworte können in einem Rechtsstaat weder Rechtsquelle noch Auslegungshilfe sein. Der Bundestag ist für die Gesetzgebung zuständig, und die Gerichte sind zur Auslegung von Gesetzen berufen.

Erfreulich ist, dass der Bundesarbeitsminister seinen Fehler rasch eingesehen hat. Bereits zur Kabinettsitzung am 8.4.2020 hat er eine Formulierungshilfe zur Änderung des BetrVG vorgelegt. Darauf haben die Koalitionsfraktionen in das Gesetzgebungsverfahren zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht. Der Bundestag hat am 23.4.2020 in dritter Lesung das Gesetz beschlossen. Danach werden in § 129 BetrVG bis zum 31.12.2020 Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie eingefügt:

“(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Abs. 1 S. 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in Satz 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse.

(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 S. 1 und 2 entsprechend.

(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audio-visueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.”

Professor Franz Josef Düwell war bis 2011 Vorsitzender Richter des Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts. Er ist Honorarprofessor an der Universität Konstanz sowie Gast-Professor an der Chuo-University Tokyo und veröffentlicht regelmäßig in zahlreichen Fachbüchern und -zeitschriften. Er arbeitet zudem als Sachverständiger für den Deutschen Bundestag.

 
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