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BB 2006, I
Bauer 

Offenbarungseid des Gesetzgebers: AGG kaum in Kraft – schon wieder geändert!

Abbildung 1

Am 18. 8. 2006 ist das “Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung” in Kraft getreten. Kernstück dieses Gesetzes ist das “Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – AGG”. Dabei trifft die Gesetzesüberschrift die Sache keineswegs. Es handelt sich eher um “Berliner Etikettenschwindel” (vgl. Bauer, BB 2006, H. 20, Die erste Seite). Denn tatsächlich geht es um den Schutz vor Benachteiligungen im Arbeitsleben und im Zivilrechtsverkehr. Das AGG bietet keinen umfassenden Schutz vor Benachteiligungen, sondern schützt nach Vorgabe des europäischen Richtliniengebers allein vor Benachteiligungen auf Grund bestimmter Merkmale, nämlich Rasse und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexuelle Identität.

Das AGG war und ist heftig umstritten. Geht den einen die Umsetzung zu weit, fällt sie für andere zu dürftig aus. Eines ist jedenfalls sicher: Begeisterungsstürme löst das Gesetz vor allem deshalb nicht aus, weil es handwerklich von überaus mäßiger Qualität ist (vgl. auch Vorwort in: Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, demnächst [2007]). Dabei wiegen die bisher diskutierten offensichtlichen Pannen des Gesetzgebers noch nicht einmal so schwer. Dass im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens vergessen worden ist, auch in § 20 AGG das Diskriminierungsmerkmal “Weltanschauung” zu streichen und § 11 Abs. 1 ArbGG entsprechend § 23 Abs. 2 AGG so zu fassen, dass Antidiskriminierungsverbände nicht als Prozessbevollmächtigte auftreten können, kann mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden (“redaktionelles Versehen des Gesetzgebers”) in Ordnung gebracht werden. Einer Korrektur im Wege eines “Huckepack-Gesetzes” bedürfte es insoweit nicht.

Schlimmer sind die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe und z. T. widersprüchlichen Regelungen und Prüfungsmaßstäbe. Sie führen in der betrieblichen Praxis zu Haftungsrisiken und Missbrauchsmöglichkeiten und damit zu Rechtsunsicherheit in einem kaum noch vertretbaren Ausmaß. Das räumt mittelbar auch die Ministerialbürokratie ein, soweit schon zu Zeiten von Rot/Grün und auch heute noch von einem “lernenden” Gesetz gesprochen wurde und wird. D. h., dass sich vor allem zu Lasten der Unternehmen erst auf Grund langjähriger Lernprozesse herauskristallisieren wird, wie das AGG im Einzelnen zu verstehen ist. Irreführend oder zumindest rührend naiv ist dann aber auch die Behauptung des Gesetzgebers, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen könnten aus der Anwendung der Vorschriften zusätzliche Kosten nur entstehen, wenn sie im Geschäftsverkehr unzulässige Unterscheidungen wegen der vom Gesetz genannten Merkmale vornehmen (BT-Drucks. 16/1780, S. 3).

Was der Gesetzgeber selbst von seiner Arbeit hält, lässt sich nun im Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes (BT-Ausschussdrucks. 16 (11) 371 neu v. 26. 9. 2006) nachlesen. Die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes stand für Donnerstag, 19. 10. 2006 – also gerade einmal zwei Monate nach Inkrafttreten des AGG – auf dem Plan des Deutschen Bundestages. Geändert werden nicht nur die beiden oben genannten Pannen des Gesetzgebers. Gestrichen werden sollen vielmehr auch Nrn. 6 und 7 in § 10 Satz 3 AGG. Danach können unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters u. a. Folgendes einschließen: “(6) Eine Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl anlässlich einer betriebsbedingten Kündigung i. S. d. § 1 KSchG, soweit dem Alter kein genereller Vorrang gegenüber anderen Auswahlkriterien zukommt, sondern die Besonderheiten des Einzelfalls und die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Beschäftigten, insbesondere die Chancen auf dem Arbeitsmarkt entscheiden” und “(7) die individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarung der Unkündbarkeit von Beschäftigten eines bestimmten Alters und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit, soweit dadurch nicht der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG grob fehlerhaft gemindert wird.”

Nun fällt dem Gesetzgeber – möglicherweise auf Intervention von Gewerkschaftsseite – aber plötzlich auf, dass Nrn. 6 und 7 von § 10 Satz 3 AGG leer laufen und zu streichen sind, weil nach § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen ohnehin “ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten”. Das Verhältnis der genannten Vorschriften zueinander ist aber schon im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ausführlich diskutiert worden, wobei weitgehend Einigkeit besteht, dass nicht die bisher gültigen Nrn. 6 und 7 in § 10 Satz 3 AGG der Stein des Anstoßes sind, sondern § 2 Abs. 4 AGG: Die europäischen Richtlinien lassen es nämlich nicht zu, den Kündigungsschutz insgesamt auszunehmen. Vielmehr muss auch § 1 Abs. 3 KSchG richtlinienkonform ausgelegt werden. Ein “vernünftiger” Gesetzgeber würde deshalb insbesondere Nr. 7 nicht streichen, sondern in das KSchG integrieren. Leider ist es aber so, dass sich das ganze Hickhack um das AGG als gesetzgeberisches Pannenstück par excellence darstellt. Bei solchen Gesetzgebungsdefiziten sind schlimmste Befürchtungen erst recht bei der bevorstehenden Gesundheitsreform angebracht !

Rechtsanwalt Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart

 
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