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Bonin 

New Work: Macht Gorillas zu Arbeitnehmern!

Abbildung 1

Es ist längst überfällig, dass einfache Plattformbeschäftigte von prekären Selbstständigen zu Angestellten mit Rechten werden.

Mit Corona kamen auch die Gorillas in unsere Städte. Während der Pandemie erlebte das Geschäft mit Express-Lieferdiensten für Lebensmittel und Essen einen rasanten Boom. Und auch wenn das Berliner Start-up mit dem Tiernamen seit der Übernahme durch Getir im letzten Dezember schon wieder Geschichte ist, Lieferando, foodora & Co weiter tiefrote Zahlen schreiben und die Investorengelder längst nicht mehr so locker sitzen: Die flinken Dienste per App sind gekommen, um zu bleiben. Zwar dürfte den Nutzern inzwischen oftmals bewusst sein, dass die Arbeitsbedingungen ihrer neuen digitalen Dienstboten nicht selten prekär sind. Doch vielen ist das offenbar egal, oder es siegt die Bequemlichkeit über das schlechte Gewissen. Der wachsenden Nachfrage nach dem Service der Online-Plattformen, die von ihren Kunden gewünschte Leistungen schnell und passgenau auf verschiedene Leistungserbringer verteilen, tut es jedenfalls bisher wenig Abbruch.

Nun will die EU-Kommission die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte, die über Plattformdienste vermittelte Arbeitsaufträge bekommen, verbessern. Der Kommissionsvorschlag COM(2021) 762 sieht vor, dass Plattformbeschäftigte künftig wie Angestellte behandelt werden. Auf diese Weise bekämen sie volle Arbeitnehmerrechte, wie etwa einen Anspruch auf Mindestlohn, betriebliche Mitbestimmung oder gesetzlich geregelte Arbeitszeiten, sowie einen besseren Zugang zu den Sozialversicherungen. Eine solche Initiative ist überfällig, denn derzeit bewegt sich Plattformarbeit häufig in einer rechtlichen Grauzone.

Wer die per App übermittelten Aufträge ausführt, gilt grundsätzlich als selbstständig, arbeitet also wie ein Unternehmer auf eigenes Risiko. Für diese Einstufung ist zunächst einmal unerheblich, dass anders als bei der üblichen Freiberuflichkeit eine digitale Plattform als Vermittler dazwischen geschaltet ist. Selbst wenn Plattformbeschäftigte den größten Teil ihres Lohns nur über eine einzige App erzielen, handelt es sich gemäß der juristischen Logik nicht um eine Scheinselbstständigkeit. Rein formal arbeiten sie nämlich im Auftrag vieler verschiedener Besteller der vermittelten Dienstleistung und nicht im Auftrag des vermittelnden Dienstleisters. In der Praxis jedoch benehmen sich manche Plattformen, besonders im Bereich des “Gigwork”, einem Arbeitsmodell, bei dem Beschäftigte befristete Kleinaufträge analog ausführen, wie Arbeitgeber: Sie üben starke Weisungsbefugnisse aus, indem sie Nutzungsbedingungen vorgeben, sie kontrollieren Beschäftigte und zahlen Leistungslöhne über Tracking-Systeme, sie nehmen quasi Entlassungen vor, indem Mitgliedskonten von Auftragnehmern, die für sie zu wenig leisten, gesperrt werden.

Ob eine bestimmte Plattform mit ihrem tatsächlichen Verhalten noch nur Vermittler oder schon Arbeitgeber ist, ist eine Auslegungssache, die am Ende die Sozial- und Arbeitsgerichte beschäftigt. Jedoch gilt hier oft: Wo kein Kläger, da kein Richter. Daraus sollte man allerdings nicht den Schluss ziehen, dass Plattformbeschäftigte mit ihren Arbeitsbedingungen und dem Status als Selbstständige zufrieden wären. Bei sehr vielen Gigworkern handelt es sich um Menschen, die unter regulären Bedingungen trotz der in Deutschland mittlerweile selbst im Niedriglohnsegment erkennbaren Arbeitskräfteengpässe so gut wie keine Chance auf Arbeit haben und darum nach diesem Strohhalm greifen. Clevere – und skrupellose – Digitalunternehmer nutzen diese Notlage aus. Die Politik sollte dem zum Wohle von Schutzbedürftigen und zur Vermeidung einer Abwälzung der mit prekärer Selbstständigkeit verbundenen sozialen Risiken auf die Gesellschaft einen Riegel vorschieben.

Versuche, die neuen hybriden Beschäftigungsformen zwischen selbstständiger und abhängiger Tätigkeit gesetzlich zu fassen, sind bisher an deren Vielfalt gescheitert. Daher halte ich den Ansatz, Gigworker grundsätzlich wie Angestellte der Plattform zu behandeln, für gerechtfertigt, zumal sie de facto vielfach mindestens arbeitnehmerähnlich tätig sind. Es ist im Vergleich zu einem Verbot des Plattform-Service, wie beim Fahrdienstvermittler Uber praktiziert, auch das mildere, Innovationen durch neue Geschäftsmodelle nicht unangemessen beschränkende Mittel. Gewiss würden durch den mit einer solchen Regulierung verbundenen Schub bei den Arbeitskosten einige Plattformen, die nur durch prekäre Arbeitsbedingungen wettbewerbsfähig sind, vom Markt verschwinden. Eine Gesellschaft, die auch in der Plattform-Ökonomie die von ihr gewählten Sozialstandards wahren will, muss bereit sein, einen solchen Preis zu zahlen – und Gigworker, die eventuell ihre Arbeit verlieren, zu fördern, damit sie den Weg in nachhaltige Betätigungsfelder finden.

Dennoch würde es zu weit gehen, künftig jeden, der über digitale Arbeitsplattformen tätig ist, in ein Angestelltenverhältnis zu zwingen, wie es der Vorschlag aus Brüssel nahelegt. Es gibt nämlich auch hochwertige Plattformarbeit. Zu finden ist sie vor allem im Bereich der “Cloudwork”, die komplett auf digitalen Plattformen ausgeführt wird und qualifizierten Solo-Selbstständigen, vor allem in den Bereichen IT oder Design, ein weltweites Betätigungsfeld erschließt. Zwar läuft auch hier einiges falsch. Man denke nur an die jüngste massenhafte fristlose Kündigung von Online-Freelancern ohne Abfindungsanspruch bei Twitter. Bei der privilegierten Zielgruppe überwiegen insgesamt aber klar die Chancen, die mit dem plattformbasierten Zugang zu einem globalen virtuellen Arbeitsmarkt neu entstehen.

Prof. Dr. Holger Bonin ist derzeit Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) und lehrt als Professor für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik an der Universität Kassel. Seine Forschung befasst sich empirisch mit digitalem und demografischem Wandel in der Arbeitswelt und der Wirksamkeit sozialpolitischer Instrumente. Daneben engagiert er sich stark in der wissenschaftlich basierten Politikberatung. Demnächst übernimmt er die Leitung des Instituts für Höhere Studien in Wien.

 
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