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BB 2019, I
Buchmann 

Neue Regeln für Verbraucher beim Online-Handel – Few Deals statt New Deals for Consumers

Abbildung 1

Die Öffentlichkeit ist empört. Paketzusteller, die als Subunternehmer Pakete zu den Kunden ausfahren, werden ausgebeutet und verdienen kaum mehr als zum Überleben notwendig. Amazon vernichtet Retouren – auch neuwertige Produkte –, statt sie in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen. Die Umweltbelastung in den Innenstädten ist bedenklich, man geht mit Fahrverboten vor, während sich die Fahrzeuge der Paketzusteller in den wenigen Parklücken der Städte ablösen, um neue Ware anzuliefern.

Die Politik hat in den vergangenen Jahren die Erwartung des Verbrauchers gestützt, seine Waren versandkostenfrei im Internet kaufen, nach Belieben ausprobieren und sie dann wieder zurücksenden zu dürfen. Eine Matratze versandkostenfrei bestellen, darauf schlafen und dann wieder zurückschicken? Für keinen Cent? Ein selbstverständliches Verbraucherrecht. Dass dieses politisch geförderte uferlose Konsumverhalten auf dem Rücken von anderen ausgetragen wird, liegt auf der Hand.

Die Leidtragenden sind insbesondere die kleinen Online-Händler, die sich mit dem Vertrieb ihrer Waren auf den großen Online-Marktplätzen in eine existenzgefährdende Abhängigkeit zu den Plattformbetreibern begeben. Einen eigenen Online-Shop haben sie zwar häufig, können sich aber die Werbung dafür nicht leisten und erzielen daher darüber nur geringe Umsätze. Für sie stellt der Verbraucherschutz eine erhebliche Belastung dar, nicht nur durch die Beratung, sondern auch in der täglichen Bearbeitung der Bestellungen. Die großen Online-Marktplätze verlangen freilich mittlerweile noch weitergehende Zugeständnisse der dort verkaufenden Händler an die Verbraucher; wer das nicht leisten kann, wird ausgeschlossen oder verliert seinen Status. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine Verknappung des Angebots und ein Oligopol der großen Online-Marktplätze, dem dann mit dem Kartellrecht begegnet werden muss. Der Online-Handel steht unmittelbar vor einem großen Umbruch.

“In der EU gelten seit 1987 die strengsten Verbraucherschutzvorschriften weltweit, wobei die Verbraucher über umfassende Verbraucherrechte verfügen”, heißt es einleitend in der Mitteilung der Kommission zur Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher. Höchste Zeit also, etwas zu tun! Wer unter diesen dramatischen Vorzeichen einen “New Deal” verspricht, erinnert unwillkürlich an die Weltwirtschaftskrise von 1929 und die Folgejahre. Präsident Roosevelt hatte durch eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen die Ordnung der Wirtschaft und der Gesellschaft in den USA grundlegend verändert. Im Interesse der Nachhaltigkeit hätten mit dem “New Deal for Consumers” die Karten für Verbraucher im Online-Handel neu verteilt werden können.

Von den wirklich drängenden Problemen wurde mit dem “New Deal” praktisch keines gelöst. Es gibt nun Regelungen für die Online-Marktplätze, aber diese enthalten zusätzliche vorvertraglichen Informationspflichten: Einem Verbraucher könnte z. B. nicht klar sein, mit wem er einen Vertrag schließt. Die Regelungen erschöpfen sich in Formalien und lassen die entstehende Marktmacht unbeachtet. Neu geregelt ist, dass künftig ein Widerrufsrecht nicht mehr besteht, wenn Waren geliefert werden, die der Verbraucher während der Widerrufsfrist in einem Maße genutzt hat, das zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und Funktionsweisen der Waren nicht notwendig gewesen wäre. Das ist schön, löst aber nicht das praktische Problem: Wie soll ein Online-Händler festzustellen, ob die Ware im Rahmen des noch Zulässigen getestet wurde oder ob die Nutzung über die notwendige Prüfung hinaus ging? Dies bleibt weiterhin einer Einzelfallrechtsprechung vorbehalten, denn der EuGH hat jüngst die Chance nicht genutzt, grundsätzliche Leitlinien aufzustellen (EuGH, 27.3.2019 – C-681/17 – slewo, BB 2019, 978 mit Besprechungsaufsatz Schirmbacher, BB 2019, 969, K&R 2019, 323, WRP 2019, 590 mit Komm. Rätze). Zu kurz greift die Neuregelung, dass ein Unternehmer dort das (ohnehin unsinnige) Musterwiderrufsformular nicht zur Verfügung stellen muss, wo das eingesetzte Fernkommunikationsmittel nur begrenzten Raum für die Darstellung der Informationen bietet. Noch wichtiger ist der Gegenschluss: Ein einfacher Hinweis auf das Bestehen des Widerrufsrechts genügt nicht. Auch dort, wo kein Platz und keine Zeit ist, muss vorvertraglich die gesamte Widerrufsbelehrung vorgehalten werden. Der EuGH hat sich leider jüngst faktisch geweigert festzustellen, wann dieser begrenzte Platz zur Verfügung stehen soll (EuGH, 23.1.2019 – C-430/17 – Walbusch, BB 2019, 273, K&R 2019, 172, WRP 2019, 312 mit Komm. Schirmbacher). Schließlich soll das “Bezahlen mit personenbezogenen Daten” für digitale Inhalte als entgeltliches Geschäft verstanden werden, so dass das Widerrufsrecht greifen soll. Damit provoziert der “New Deal” eine unnötige Diskussion zum Verhältnis der VRRL zur DSGVO und zur Frage, ob personenbezogene Daten ein Zahlungsmittel sind (also im wirtschaftlichen Eigentum einer Person stehen; s. hierzu Kornmeier/Baranowski, BB 2019, 1219, in diesem Heft), oder lediglich ein Recht auf Schutz der eigenen personenbezogenen Daten besteht (und als unverzichtbares Grundrecht keine Gegenleistung sein können). Im Rahmen des Datenschutzrechts stellt sich dann die Frage, ob die Daten auf Grundlage eines Vertrags oder einer Einwilligung verarbeitet werden. Die Neuregelung schafft ein weiteres Problem, statt einer Lösung.

Der “New Deal” ist eine verpasste Chance, die Probleme des Online-Handels anzugehen. Die Anpassungen in der Verbraucherrechterichtlinie sind wenig greifbar und auslegungsbedürftig. In der täglichen Praxis werden mit ihnen neue Probleme geschaffen, die wieder auf dem Rücken der Rechtssicherheit jahrelange gerichtliche Verfahren durch die Instanzen nach sich ziehen, weil die Untergerichte die drängenden Rechtsfragen nicht dem EuGH vorlegen. Mit diesem “New Deal” werden die Karten im E-Commerce weder neu verteilt noch nachhaltige Lösungen geschaffen.

Prof. Dr. Felix Buchmann, RA/FAIT-Recht/FAUrheber- und Medienrecht, ist Partner der überörtlichen Sozietät BSB Quack Gutterer am Standort Stuttgart. Seine Tätigkeitschwerpunkte bilden IT-Recht, Datenschutz, E-Commerce und Wettbewerbsrecht. Er ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der Hochschule Pforzheim und ständiger Mitarbeiter der ebenfalls in der dfv Mediengruppe, Fachbereich Recht und Wirtschaft, erscheinenden Fachzeitschrift Kommunikation & Recht.

 
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