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BB 2022, I
Henssler/Sossna 

Kein großer Wurf, aber ein Schritt in die richtige Richtung – der Referentenentwurf zur Stärkung der Aufsicht bei Rechtsdienstleistungen

Abbildung 1

Abbildung 2

Die geplante Gesetzesänderung wird zu einer Professionalisierung der Rechtsdienstleistungsaufsicht führen. Die Unwucht im System des Rechtsdienstleistungsrechts behebt sie nicht.

Prüfen Sie Ihren Anspruch mit nur wenigen Klicks online. Kein Kostenrisiko. Im Erfolgsfall werden wir an Ihrem Erfolg beteiligt.” – Mit derlei Verlockungen mischen Inkassounternehmen den deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt auf. Möglich wird diese Fahrt auf der Überholspur durch die besondere Stellung der Inkassodienstleister: Für sie gelten die strengen anwaltlichen Berufspflichten nicht, die Rechtsanwälten etwa die Vereinbarung eines Erfolgshonorars (§ 49b Abs. 2 BRAO) verbieten.

Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass Inkassounternehmen derart ausgeprägt Rechtsrat erteilen und die prozessualen Erfolgsaussichten eigenständig prüfen dürfen. Die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, zu denen auch sämtliche Inkassodienstleistungen gehören, ist grundsätzlich verboten, sofern das Gesetz keine Ausnahme anordnet (§ 3 Abs. 1 RDG). Die umfassende Rechtdienstleistungsbefugnis, das sog. Anwaltsmonopol, steht allein dem Rechtsanwalt zu. Daneben ergibt sich aus § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG eine deutlich engere Bereichsausnahme: Entsprechend registrierte Personen dürfen aufgrund ihrer Sachkunde lediglich Inkassodienstleistungen erbringen.

Die Zulässigkeit der genannten Geschäftsmodelle hängt damit davon ab, ob sie als Inkassodienstleistungen zu qualifizieren sind. Den früher eng verstandenen Inkassobegriff hat der BGH in den vergangenen Jahren stufenweise ausgedehnt: Erfasst sei nicht bloß die “Aufgabe schlichter Mahn- und Beitreibungstätigkeit”, sondern – in Abkehr von der bis dahin ständigen Rechtsprechung – auch die Prüfung der Forderung, die rechtliche Beratung der Kunden sowie die Vornahme von Maßnahmen zur Begründung der Forderung (BGH, 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208; BB 2020, 1 f. Ls). Eine zulässige Inkassodienstleistung soll auch das lukrative “Sammelklage-Inkasso” darstellen, bei dem Forderungen verschiedener Parteien gegen einen Anspruchsgegner zum Einzug abgetreten und dann von dem Inkassodienstleister gebündelt geltend gemacht werden (BGH, 13.7.2021 – II ZR 84/20, BB 2021, 2188 ff. mit BB-Komm. Ruster/Ruster sowie Besprechungsaufsatz Thole, BB 2021, 2382 ff.)

Dem BGH ist zu konzedieren, dass Rechtsuchende ein berechtigtes Interesse an einer einfachen und kostengünstigen Rechtsverfolgung haben – insbesondere bei geringen, durch Einzelklage regelmäßig nicht wirtschaftlich durchsetzbaren Forderungsbeträgen. Das von ihm bejahte ausufernde – auch forensische Tätigkeiten umfassende – Verständnis des Inkassobegriffs lässt sich mit dem Regelungszweck des RDG freilich schwer vereinbaren. Es erlaubt Inkassodienstleistern, in den Kernbereich des Anwaltsmonopols vorzudringen: die außergerichtliche und gerichtliche Durchsetzung höchst streitiger Geldforderungen.

Wie man diese Entwicklung auch bewerten mag – sie ruft in jedem Fall nach stärkerer Aufsicht. Dem Gesetzgeber ist es bislang nicht gelungen, eine effektive Kontrolle registrierter Inkassodienstleister sicherzustellen. Derzeit obliegt die Aufsicht den Landesjustizverwaltungen, welche diese Aufgabe an nachgeordnete Behörden delegiert haben. Im Ergebnis ist die Aufsicht auf bundesweit 38 Gerichte unterschiedlicher Gerichtsbarkeiten verstreut, wo sie wenig ambitioniert wahrgenommen wird. Hier setzt der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aufsicht bei Rechtsdienstleistungen und zur Änderung weiterer Vorschriften des Rechts der rechtsberatenden Berufe an, den das Bundesministerium der Justiz am 6. Mai 2022 vorgestellt hat. Sein Kernanliegen ist die Zentralisierung der Aufsicht beim Bundesamt für Justiz. Dieses Anliegen ist zu begrüßen; es wird zu einer spürbaren Professionalisierung und Vereinheitlichung der Rechtsdienstleistungsaufsicht führen. Das BMJ hat über seine Fachaufsicht nunmehr die Aufgabe, dem BfJ klare Leitlinien für die Rechtsdienstleistungsaufsicht vorzugeben.

Zudem soll die unbefugte geschäftsmäßige Erbringung von Rechtsdienstleistungen wieder lückenlos bußgeldbewehrt werden. Das RDG hatte diese Sanktionierung in weiten Teilen abgeschafft, sodass ausschließlich zivil- und wettbewerbsrechtliche Maßnahmen zur Verfügung standen. Die Bußgeldbewehrung bietet einen optimierten Verbraucherschutz; auch in diesem Punkt verdient der Entwurf Zustimmung.

Der grundlegende Wertungswiderspruch aber bleibt bestehen: Während Rechtsanwälte und Inkassounternehmen in weiten Teilen vergleichbare Dienstleistungen erbringen, wird die zur Rechtsberatung primär berufene Rechtsanwaltschaft weiterhin durch ein strengeres Berufsrecht ausgebremst. Dem Gesetzgeber stehen im Wesentlichen zwei Optionen zur Verfügung, um das gebotene Level playing field zu schaffen: Er kann den gerichtlichen Einzug streitiger Forderungen durch Inkassounternehmen beschränken, etwa auf kleinere Streitwerte, oder aber anwaltsrechtliche Schranken, insbesondere das Verbot des Erfolgshonorars in § 49b BRAO, lockern. 2021 hat er – sehr verzagt – den letztgenannten Weg eingeschlagen: Das reformierte RVG sieht Ausnahmen vom Verbot bei Streitwerten bis höchstens 2.000 Euro sowie u. a. für den Fall vor, dass der Auftraggeber im Einzelfall bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.

Die Unwucht im System des Rechtsdienstleistungsrechts ist damit nicht behoben. Inkassodienstleister sind bei der Vereinbarung von Erfolgshonoraren an keine Streitwertgrenzen gebunden und dürfen im Fall des Unterliegens die Kosten der Gegenseite übernehmen. Rechtsanwälte dürfen die Kosten der Gegenseite nur bei anwaltlichen Inkassodienstleistungen übernehmen. Hier besteht unverändert Nachbesserungsbedarf. Vor diesem Hintergrund ist der Entwurf ein wichtiger (!) Schritt in die richtige Richtung – ein großer Wurf ist er (noch) nicht.

Prof. Dr. Martin Henssler (li.) ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Anwaltsrecht der Universität zu Köln sowie des dortigen Europäischen Zentrums für Freie Berufe.

Thomas Sossna (re.) ist Referent des Geschäftsführenden Direktors am Institut für Anwaltsrecht der Universität zu Köln.

 
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