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BB 2022, I
Klindt 

Kaufst Du noch oder reparierst Du schon? Kritisches zum geplanten “Recht auf Reparatur”

Abbildung 1

Wichtiger als das Recht auf Reparatur erscheint eine intelligente Strategie des weiteren “Urban Mining”, also der Rohstoffwiedergewinnung aus Altgeräten.

Wenn technische Geräte früher als erwartet ihren Dienst aufgeben, ist der Ärger groß. Er wird noch größer, wenn sich das Gerät als nicht reparierbar herausstellt, bspw. weil Ersatzteile gar nicht mehr erhältlich sind. Dann steht oft der Vorwurf der “geplanten Obsoleszenz” im Raum: Der Hersteller soll das Gerät bewusst (!) so gebaut haben, dass es eine kürzere Lebenszeit hat als es möglich und nötig wäre. Der Verbraucher soll, so der maliziöse Verdacht, dazu bewegt werden, möglichst bald das neuere und modernere Gerät zu kaufen. Ich hielt und halte die generalisierende These einer geplanten Obsoleszenz für einen modernen Mythos: In Gesprächen mit Industriemandanten führt diese Äußerung meist zu schallendem Lachen, schon weil der After-sales-Teilevertrieb eine fest eingeplante Marge bedeutet.

Ein noch weitergehendes “Recht auf Reparatur” im Sinne eines echten Rechtsanspruchs auf eine bestimmte Haltbarkeit oder Reparierbarkeit des Gerätes war dem geltenden Recht bislang unbekannt. Eine aus Sicht des Verbrauchers zu kurze Lebensdauer oder unzureichende Reparierbarkeit waren per se keine Sachmängel, sofern nichts dezidiert Gegenteiliges vereinbart wurde oder § 477 BGB eingreift, sodass Ansprüche des Käufers meist ausschieden (vgl. Hohmuth, InTeR 2014, 74, 77 f.). Demgegenüber enthielt das öffentliche Recht mit dem Energiebetriebene-Produkte-Gesetz (EBPG) für einzelne Produkte immerhin Vorgaben zur Lebensdauer, bspw. für Haushaltslampen (vertiefend Gawel/Bretschneider, ZfU 2016, 1, 12 f.).

Diese Rechtslage ist nunmehr deutlich im Fluss begriffen: Während das allgemeine Kaufrecht (nach wie vor) keine gesetzliche Haltbarkeitsgarantie enthält (vgl. BT-Drs. 19/27424, S. 24 zu § 434 Abs. 3 S. 2 BGB n. F.), muss der Verkäufer bei Verbraucherkaufverträgen über digitale Produkte seit 1.1.2022 die Funktionstüchtigkeit des Kaufgegenstandes für mindestens zwei Jahre ab Ablieferung gewährleisten (§ 475c Abs. 2 BGB). Das Unionsrecht weist weitere neue Ansätze eines “Rechts auf Reparatur” auf: Neben der Richtlinie 2019/770 über digitale Inhalte und Dienstleistungen, die ja jene Pflicht zur Erhaltung der Mangelfreiheit vorsieht, sind die neuen Durchführungsverordnungen auf Grundlage des Art. 15 Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG zu erwähnen. Sie traten bereits im März 2021 in Kraft und verpflichten Hersteller bestimmter Produkte (z. B. von Kühlgeräten) dazu, Ersatzteile, Reparaturanleitungen u. a. bereitzustellen und bereitzuhalten. Diese Pflichten enden je nach Produkt sieben, acht oder zehn Jahre nach Inverkehrbringen des letzten Exemplars.

Die Politik schickt sich offenbar an, das “Recht auf Reparatur” zum Grundsatz zu erheben. Die Europäische Kommission plant eine entsprechende Gesetzesinitiative und hat am 11.1.2022 Konsultationen zum Thema eingeleitet. Vergleichbare Pläne hegt die Bundesregierung, wie dem Koalitionsvertrag zu entnehmen ist. Sollte ein allgemeines “Recht auf Reparatur” eingeführt werden, würden Verkäufer und Hersteller verschuldensunabhängig für die Erhaltung der Funktionstüchtigkeit der Geräte in die Pflicht genommen, und das u. U. weit über die bisherigen klassischen Gewährleistungsfristen hinaus.

Diese rechtspolitische Idee ist aus vielerlei Gründen kritikwürdig. Erstens werden Hersteller in eine rechtlich problematische Stellung manövriert. Sie müssen befürchten, in eine Beschaffenheitsgarantie für ihre Geräte gezwungen zu werden. Das Wort “Zwang” ist bewusst gewählt: Soll das “Recht auf Reparatur” wirksam umgesetzt werden, bedarf es eines Kontrahierungszwangs, der zur Bereitstellung und Lieferung von Ersatzteilen, Reparaturanleitungen etc. verpflichtet. Denn der Verbraucher erwirbt das Gerät meist nicht direkt beim Hersteller, sondern bei einem Händler, sodass verschärfte Gewährleistungspflichten nur den Händler treffen würden. Und würde man das “Recht auf Reparatur” als öffentlich-rechtliche Pflicht einführen, könnte es von Behörden kaum kontrolliert werden; es wäre ein zahnloser Tiger (vgl. Kieninger, ZEuP 2020, 263, 272). Dass man über einen Kontrahierungszwang nachdenken muss, erstaunt wiederum: Denn man kennt ihn nur aus Konstellationen, in denen zwischen den Parteien ein deutlich ausgeprägtes Machtgefälle besteht (z. B. bei Monopolen). Warum soll die Entscheidung “Reparatur oder Neukauf” eine solche Ohnmacht auslösen, dass deshalb die Vertragsfreiheit des Herstellers beschnitten werden muss?

Zweitens bleibt offen, ob der erhoffte Nutzen eintreten wird. Gerade Verbraucherschützer treten mit Nachdruck für das “Recht auf Reparatur” ein und meinen, dass es zum Verbraucher- wie Umweltschutz erforderlich sei (Wojtal, FAZ vom 19.1.2022). Das ist aber nicht zwingend der Fall. Vielleicht möchte der Verbraucher am technischen Fortschritt partizipieren. Oder die Reparatur ist wirtschaftlich sinnlos, weil sie genauso viel oder mehr als die Neuanschaffung kostet (was schon wegen der Lohnniveauunterschiede zwischen In- und Produktionsland passieren kann). Müsste im Übrigen nicht rechtspolitisch ein “Recht auf Reparatur” zwingend von einer “Pflicht zur möglichen Reparatur” begleitet werden, weil sonst jede angestrebte Abfallvermeidung und Rohstoffeinsparung im Belieben der Verbraucher läge?! Und falls das modernere Gerät weniger Strom verbraucht als das alte Gerät, kann der Neukauf auch aus ökologischer Sicht die erste Wahl sein (ebenso Gawel/Bretschneider, ZfU 2016, 1, 5. Das alles zeigt, dass der Verbraucher nicht unbedingt das Opfer ist, das von vermeintlich zwielichtigen Herstellern zum Wegwerfen und Neukaufen manipuliert wird und mit einem “Recht auf Reparatur” geschützt werden muss. Wichtiger erscheint mir ohnehin eine intelligente Strategie des weiteren “Urban Mining”, also der Rohstoffwiedergewinnung aus Altgeräten.

Wenn man abschließend bedenkt, dass sich Mindestlebenszeiten und Reparaturfähigkeiten für Juristen kaum präzise definieren lassen, bleibt nur der Schluss, dass die Politik von einem allgemeinen “Recht auf Reparatur” Abstand nehmen sollte.

Prof. Dr. Thomas Klindt, RA/FAVerwR, ist Partner bei Noerr PartG mbB am Standort München. Er weist als Industrieanwalt große Erfahrung in der Behandlung produkthaftungsrechtlicher Krisenszenarien auf. Er lehrt europäisches Produkt- und Technikrecht an der Universität Bayreuth. Zudem ist er u. a. Mitglied im Herausgeberbeirat der Zeitschrift zum Innovations- und Technikrecht (InTeR) sowie Mitherausgeber der Zeitschrift Recht Automobil Wirtschaft (RAW), die beide in der Deutschen Fachverlag GmbH, Fachbereich Recht und Wirtschaft, erscheinen.

 
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