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BB 2018, I
Hufeld 

Ist nach der Krise vor der Krise? Was effiziente Finanzregulierung bedeutet

Abbildung 1

Der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers vor etwa zehn Jahren und die damit einhergehenden dramatischen Verwerfungen an den globalen Finanzmärkten haben eine Welle von Ergänzungen und Verschärfungen in der Finanzregulierung ausgelöst, die – jedenfalls in der jüngeren Vergangenheit – ohnegleichen sind. Zu Recht: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Die große Finanzkrise hat nicht nur Gier, Fehlverhalten, verzerrte Einschätzungen und bewusste Vertuschung in der Finanzindustrie offengelegt. Sie hat auch Lücken, falsche Anreize und Versäumnisse in der Finanzregulierung zu Tage befördert. Diese Missstände galt es finanzregulatorisch wie bilanzrechtlich zu beheben. Neben einer Vielzahl unterschiedlicher Einzelfragen standen dabei vier Kernthemen im Vordergrund:

Erstens Kapital: Weder ein einzelnes Institut noch das gesamte System dürfen so auf Kante genäht sein, dass bereits leichte bis mittelschwere Stöße das eine oder mehrere Institute ins Wanken bringen. Ein hinreichendes Maß an Kapital muss regulatorisch vorgegeben werden, um die Widerstandsfähigkeit des Systems auf einem höheren Normalnullniveau zu stabilisieren. Innerhalb bestimmter Bandbreiten wird man immer darüber diskutieren können, wie die optimalen Kapitalanforderungen zu bestimmen sind. Aber unbeschadet dessen sollte eines mittlerweile Allgemeingut sein: In der Vorkrisenzeit war die Eisdecke der Kapitalausstattung, was Quantität und Qualität anging, viel zu dünn. Dieser Fehler darf nicht wiederholt werden.

Zweitens Liquidität: Bis zum Ausbruch der Krise wurde ausreichende Liquidität vielerorts als Naturzustand begriffen – eine glatte Fehleinschätzung, wie die Krise auf dramatische Weise demonstriert hat. Die Forderung an die Institute, ausreichend und gezielt Liquidität vorzuhalten, ist daher in das Zentrum der regulatorischen Aufmerksamkeit gerückt.

Drittens Abwicklung: Der Automatismus, dass Banken, vor allem solche, die als “too big to fail” gelten, im Krisenfall als rettungswürdig und -bedürftig anzusehen sind, musste durchbrochen werden. Eine grundsätzlich neue Materie der Finanzregulierung wurde entwickelt: die der Bankenabwicklung außerhalb der ultima ratio des ansonsten geltenden allgemeinen Insolvenzrechts. Die wirksame operative Umsetzung dieser neuen rechtlichen Kategorie ist elementar, um dem in Vergessenheit geratenen Grundsatz der Einheit von Haftung und Gewinn wieder Geltung zu verschaffen.

Viertens systemisches Risiko: Eine weitere wichtige Lektion der Finanzkrise 2007/2008 ist, dass sich unterschätzte, oft versteckt schwelende und lokal wie inhaltlich begrenzte Brandherde in ein grenzüberschreitendes oder gar weltweites Flammenmeer verwandeln können. Auch diese Erkenntnis hat eine neue Teildisziplin der Finanzregulierung hervorgebracht: die makroprudenzielle Regulierung. Ihr Ziel: Auch Risiken, die im Zusammenspiel komplexer Systeme entstehen, müssen frühzeitig erkannt und durch geeignete Instrumente eingedämmt werden. Der Schutz der Finanzstabilität als eigenständige, systemische Kategorie ist mittlerweile zum festen Bestandteil der vorausschauenden Aufsicht geworden.

Damit sei es genug der Regulierung, meinen nun viele. Die einen rufen nach einer regulatorischen Pause, andere fordern “effiziente Regulierung”.

Was die Pause angeht: Die Vorstellung von einem ein- bis zweijährigen Sabbatical ist auch für Finanzregulierer durchaus verführerisch. In der Realität ist sie aber wohl eher untauglich. Regulatorische Fragen verdienen zu jeder Zeit unsere Aufmerksamkeit – und sei es nur, weil neue Risiken auftreten.

Der Ruf nach effizienter Regulierung beschreibt demgegenüber entweder eine Selbstverständlichkeit oder dient als Euphemismus für weitreichende Deregulierung. Ist mit dem Schlagwort “effiziente Regulierung” gemeint, dass unbeabsichtigte regulatorische Nebenwirkungen beseitigt und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Materien analysiert, dass unnötige bürokratische Lasten reduziert werden und der Proportionalitätsgedanke stärker zur Geltung kommt? Über all das lasse ich gerne mit mir reden, denn diese Art der Nachjustierung ist gut und richtig – und, wie gesagt, selbstverständlich. Versteckt sich hinter dem Ruf nach effizienter Regulierung dagegen die Forderung, das erreichte Schutzniveau für die Finanzstabilität zugunsten vermeintlich notwendiger ökonomischer Anreize zu senken, oder entspringt dieser Ruf nur einem allgemeinen Gefühl der Überforderung, verbunden mit dem Vorwurf des “Gold Plating” oder einer empfundenen Wettbewerbsbenachteiligung, muss die Finanzaufsicht ihre Stimme erheben und Kurs halten. Dasselbe gilt bei politisch motivierten Vorstellungen, Erleichterungen mit den Mitteln der Finanzregulierung zu schaffen, ohne dabei die Risiken zu berücksichtigen.

Finanzregulierung ist dann effizient, wenn sie dem Ziel der Finanzstabilität, der angemessenen Solvenz einzelner Finanzinstitute oder dem Schutz der Verbraucher dient, ohne die Regulierten unnötig zu belasten. Die richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig zu finden, bleibt eine fortdauernde Aufgabe.

Felix Hufeld ist seit März 2015 Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und war zuvor Exekutivdirektor der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin. Er ist u. a. Mitglied im Supervisory Board des Single Supervisory Mechanism (SSM) und der Group of Governors and Heads of Supervision (GHOS).

 
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