Haftungsregelungen bei Abschlussprüfern – ein Plädoyer für mehr Markt
Bis zum Jahresende 2006 will die Europäische Kommission einen Bericht über die Auswirkungen der derzeitigen unterschiedlichen nationalen Haftungsregelungen für Abschlussprüfungen auf die europäischen Kapitalmärkte und auf die Prüfungsgesellschaften vorlegen. Insbesondere soll eine objektive Analyse von Haftungsbegrenzungsregelungen vorgenommen werden.
Zur Vorbereitung dieses Berichts hat die Kommission eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, die im Oktober dieses Jahres veröffentlicht worden ist. Obwohl die vom Beratungsunternehmen London Economics in Zusammenarbeit mit Ralf Ewert von der Universität Frankfurt a. M. erstellte umfangreiche Studie keine expliziten Empfehlungen enthält, sind Präferenzen erkennbar: Der Markt für Prüfungsmandate bei kapitalmarktorientierten Unternehmen ist hoch konzentriert und wird von den “Big Four” dominiert. Haftungsfälle können die Existenz eines oder mehrerer der großen Prüfungsnetzwerke bedrohen, die Versicherbarkeit der Risiken ist eingeschränkt. Angesichts dieser Situation tendiert die Studie zu einer differenzierten Haftungsbegrenzung, die abhängig ist von der Größe der Prüfungsgesellschaft, damit einerseits die aus der Haftung resultierenden Anreize zur Steigerung der Prüfungsqualität für die großen Gesellschaften nicht zu schwach ausfallen, andererseits kleinere Gesellschaften durch zu hohe Haftungsrisiken nicht vom Markteintritt abgehalten werden. Konkrete Regelungsvorschläge werden angesichts der unterschiedlichen ökonomischen und rechtlichen Situation in den einzelnen EU-Ländern nicht gemacht. M. E. betont die Studie zu stark die durch den Zerfall eines der großen Netzwerke zukünftig drohenden Risiken. Aber auch in diesem dramatischen Fall geht das in den Köpfen der Partner und Partnerinnen gebundene Humankapital nicht verloren, weil Neugründungen oder der Anschluss an ein “Mid-tier Network” möglich sind. Bei zu starker Dominanz des Marktes etwa durch nur noch zwei große Gesellschaften könnte der Gesetzgeber im Extremfall auch die Aufspaltung der Gesellschaften anordnen. Weiter gilt, dass trotz hoher Haftungs- und Reputationsrisiken die Prüfungs- und Beratungsbranche sich über Jahrzehnte hinweg ganz ausgezeichnet entwickelt hat. Hierbei kräftig mitgeholfen hat auch der Grundsatz “More Standards, More Fees”. Zu bedenken ist allerdings, dass übermäßig hohe Haftungs- und Reputationsrisiken über die Honorare weitergegeben werden und damit letztlich ex ante von den Investoren “bezahlt” werden. Insofern könnte auch aus deren Sicht eine Haftungsbegrenzung sinnvoll sein. Charlie McCreevy, der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar, hat schon erklärt, dass er eine Haftungsbeschränkung vorschlagen wird.
Was folgt nun für Deutschland? Zwar können sich die Befürworter einer Haftungsbegrenzungsregelung im Grundsatz bestätigt fühlen, gleichwohl ist die derzeitige Haftungsregelung in § 323 HGB nach wie vor deutlich zu kritisieren. Aus ökonomischer Sicht nicht bestritten werden nämlich die grundsätzlich positiven Anreizwirkungen einer Dritthaftung bei Fahrlässigkeit des Abschlussprüfers gegenüber geschädigten Investoren, die bekanntlich durch § 323 HGB gerade ausgeschlossen wird. Kontrovers diskutiert wird allein die konkrete Ausgestaltung einer solchen Regelung, etwa ob der Haftungsumfang auch durch ein Mitverschulden des bilanzaufstellenden Organs beschränkt werden sollte oder wie quantitative Haftungsobergrenzen ausgestaltet werden sollten. Grundsätzlich könnte man sich auch in Deutschland am österreichischen Modell orientieren, welches die Haftungsobergrenze abhängig macht von der Größe des geprüften Unternehmens: Je größer das Unternehmen, umso höher die Haftung. Über die konkrete Höhe der Beträge wird zu diskutieren sein. Eine solche Haftungsregelung würde den in der genannten Studie formulierten Kriterien im Grundsatz genügen.
Was die Haftung des Prüfers gegenüber dem Auftraggeber betrifft, könnte man auch argumentieren, dass es dem Prüfer und seinem Auftraggeber überlassen bleibt, ob und in welcher Höhe eine Haftungsbegrenzungsregelung vereinbart wird. Dies könnte sicherstellen, dass differenzierte risikoadäquate Vertragsarrangements von den Beteiligten gewählt werden könnten. Bei kapitalmarktorientierten Unternehmen sollte die Haftungsregelung offen gelegt werden. Dadurch wird der Druck auf den Aufsichtsrat erhöht, eine effiziente Haftungsregelung zu vereinbaren. Eine solche Regelung kann den Wettbewerb auf dem Prüfungsmarkt fördern. Überdurchschnittlich sorgfältig und gewissenhaft arbeitende Abschlussprüfer werden dann in der Lage sein, höhere Haftungsrisiken einzugehen, und können dies dem Markt durch entsprechende Haftungsvereinbarungen auch glaubhaft signalisieren. Die Höhe der Haftungssumme wird dann zu einem einfach zu beobachtenden Qualitätsindikator. Der Berufsstand verfolgt jedoch – mit Zustimmung des Gesetzgebers – eine wettbewerbsverhindernde Politik. In der Begründung zu § 16 der Berufssatzung heißt es: “Es widerspricht der Berufsauffassung der WP/vBP, bei gesetzlicher Haftungsbegrenzung eine höhere Haftung zu vereinbaren. Dieses Verbot soll WP/vBP davor schützen, dass einzelne Kollegen sich über Haftungserweiterungen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.” Diese Auffassung ist unhaltbar, weil es aus ökonomischer Sicht wünschenswert ist, dass Abschlussprüfer versuchen, sich über die Höhe der Haftungssumme Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Professor Dr. Hansrudi Lenz, Würzburg