Gesetzlicher Mindestlohn: Irrweg mit fatalen Folgen
Die Mindestlohndebatte ist offenbar noch nicht tot. Jetzt hat der SPD-Gewerkschaftsrat ein “Mindestlohn-Konzept” beschlossen, das ein verheerendes Signal für den Arbeitsmarkt wäre und die Nachteile aller Mindestlohn-Modelle vereint. Ein “Zwei-Stufen-Plan” sieht danach vor, dass zunächst die Tarifparteien einer Branche Mindestlöhne vereinbaren sollen, die dann im Rahmen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Arbeitnehmer erstreckt werden. Gelingt dies nicht oder wird “ein bestimmtes Niveau unterschritten”, soll in einem zweiten Schritt ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden.
Mit der angedachten Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen würden die untersten Tariflöhne einer Branche automatisch zu gesetzlichen Mindestlöhnen für den gesamten Wirtschaftszweig. Eine solche Ausweitung des Entsendegesetzes ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2000 entschieden, dass die derzeitige Fassung des Entsendegesetzes deshalb noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist, weil sie auf eine bestimmte Branche und bestimmte Arbeitsbedingungen begrenzt ist. Die angestrebte Änderung macht diese Bestimmbarkeit zunichte. Sie greift auch massiv in die negative Koalitionsfreiheit ein.
Mindestlöhne auf Tarifbasis würden bei der praktischen Anwendung für alle Beteiligten zudem weitere Bürokratie nach sich ziehen. Dies beginnt bei der Frage, welcher von über 3000 (!) Lohn- und Gehaltstarifverträgen in den Branchen einschlägig ist. Abgrenzungsschwierigkeiten werden sich kaum vermeiden lassen. Für Zweifelsfälle müsste unter Umständen eine neue Auskunftsbehörde eingerichtet werden. Andernfalls drohen langwierige Rechtsstreitigkeiten. Zusätzliche Bürokratie, die vor allem kleine und mittlere Unternehmen belastet, sollte in jedem Fall verhindert werden.
Die Einhaltung der jeweiligen Mindestlöhne müsste zudem kontrolliert werden. Die Erfahrungen in der Bauwirtschaft zeigen, dass die Kontrolle von Mindestlöhnen sehr personalaufwändig ist und trotzdem unzureichend bleibt. Würde man in weiteren Branchen einen Mindestlohn installieren, würde sich dieser Kontrollaufwand beträchtlich erhöhen. Gegebenenfalls müsste dazu sogar eine neue Behörde geschaffen werden. Es entstünde eine neue Kontroll-Bürokratie, ohne dass damit die Einhaltung der Mindestlöhne tatsächlich gewährleistet wäre.
Wenn dann zusätzlich noch ein pauschaler Mindestlohn eingeführt werden soll, der zur Anwendung kommt, wenn sich die Tarifparteien nicht einigen oder der vereinbarte Lohn zu niedrig ist, würde die Tarifautonomie vollends ad absurdum geführt. Selbst legitime Tarifvereinbarungen von Arbeitgebern und Gewerkschaften verlieren dann ihre Gültigkeit, wenn sie den gesetzlich vorgegebenen Lohn unterschreiten.
Vor allem den Arbeitnehmern, denen der Mindestlohn zugute kommen soll, wäre damit ein Bärendienst erwiesen. Denn einer kleinen Minderheit, dem der Mindestlohn tatsächlich zu höherem Einkommen verhelfen würde, stünde die große Mehrheit gegenüber, deren Arbeitsplätze aufgrund der Mindestlöhne verloren gingen: Arbeitsplätze entstehen und bleiben nur dann erhalten, wenn die Arbeitskosten nicht höher sind als die erwirtschaftete Produktivität. Daher ist die unabdingbare Voraussetzung für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich einfacher Tätigkeiten eine stärkere Lohnspreizung. Darauf hat der Sachverständigenrat Anfang September zu Recht und zum wiederholten Mal hingewiesen.
Der Hinweis auf das Ausland, wo zu einem großen Teil Mindestlöhne existieren, geht fehl: Auf den Arbeitsmärkten z. B. der USA oder Großbritanniens ist die Flexibilität des Arbeitsmarktes sehr viel größer und die Abgabenbelastung im Niedriglohnbereich sehr viel geringer. Frankreich ist hingegen aufgrund seiner institutionellen Regelungen sehr viel besser mit Deutschland vergleichbar. Für Frankreich ermitteln jedoch verschiedene Studien übereinstimmend Arbeitsplatzverluste aufgrund des dortigen Mindestlohns und seiner Erhöhungen, vor allem für Frauen und gering qualifizierte jugendliche Arbeitnehmer. Außerdem gibt es in den betroffenen EU-Ländern sehr unterschiedliche Formen zur Sicherung eines Mindesteinkommens. Deutschland hat de facto ebenfalls einen Mindestlohn – in Form des Arbeitslosengeldes II. Wer in dieser Situation noch einen weiteren gesetzlichen Mindestlohn einführen will, steht vor einem Dilemma: Entweder der Mindestlohn ist so niedrig, dass er keine Wirkung hat. Oder er ist so hoch, dass er Arbeitsplätze vernichtet, weil viele Jobs entweder in die Schwarzarbeit oder ins Ausland verdrängt würden. Das kann niemand wollen.
Anstatt mit Mindestlöhnen neue Hürden für den Arbeitsmarkt aufzubauen, müssen die bestehenden Beschäftigungsbremsen gelöst werden. Mindestlöhne verhindern eine beschäftigungsfördernde Lohnspreizung und konterkarieren die Wirkung von Kombilöhnen.
Dr. Reinhard Göhner, Berlin