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BB 2022, I
Savary 

Der Digital Services Act steht vor der Tür: ein Meilenstein in der Regulierung von Online-Plattformen?

Abbildung 1

Ein verschärftes Sanktionsregime wird sicherstellen, dass der DSA kein zahnloser Papiertiger wird.

Nach intensiven Beratungen – im Vorfeld der Abstimmung gingen über 100 Änderungsanträge ein – beschloss das EU-Parlament am 20. Januar 2022 mit großer Mehrheit die Annahme des Digital Services Act (DSA). Gelingt der EU mit dem DSA der viel beschworene historische Meilenstein in Sachen Regulierung des digitalen Raums?

Seit dem letzten großen Wurf der EU hinsichtlich der Regulierung digitaler Dienste, der E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000, hat sich die Online-Landschaft drastisch verändert. Online-Plattformen nehmen im beruflichen wie privaten Alltag eine deutlich gewichtigere Stellung ein und sind kaum noch wegzudenken. Der DSA trägt diesen Entwicklungen Rechnung und kreiert einen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für Online-Dienste, nachdem jüngst einige Länder bereits mit unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften vorgeprescht waren. Mit den Veränderungen der letzten Jahrzehnte gingen auch unerwünschte Entwicklungen einher, wie die Verbreitung illegaler Produkte und Inhalte, Falschinformationen sowie sogenannter Hatespeech, welche durch den DSA gezielter bekämpft werden sollen. Als übergeordnetes Ziel sollen mithilfe des DSA Grundrechte wie das Recht auf Privatsphäre oder auf Nichtdiskriminierung sowie Verbraucherschutzrechte im Online-Umfeld besser geschützt und durchgesetzt werden. Der DSA soll zudem mehr Transparenz schaffen – etwa hinsichtlich Rankings oder personalisierter Werbung. Nach dem Willen der EU soll der DSA als neuer Goldstandard andere Länder außerhalb der EU zum Nachziehen inspirieren.

Die Anforderungen des DSA unterscheiden sich je nach Größe der Plattform und Art der Dienste. Für Vermittlungsdienste gelten gewisse Grundanforderungen, die durch spezifischere Vorgaben an Hostingdienste und Online-Plattformen ergänzt werden. Die strengsten Regelungen greifen bei sogenannten “sehr großen Online-Plattformen”, die sich primär durch ihre hohe Reichweite definieren. Sehr große Online-Plattformen können ganz andere gesellschaftliche Risiken nach sich ziehen als kleinere Plattformen, da sie aufgrund ihrer Reichweite einen großen Einfluss auf Online-Sicherheit, öffentliche Meinungsbildung sowie Online-Handel ausüben. Daher sieht der DSA für solche Plattformen die Pflicht vor, systemische Risiken zu ermitteln und zu bewerten, die sich aus dem Betrieb und der Nutzung ihrer Dienste ergeben. Mögliche Risiken sind die Verbreitung illegaler Inhalte über ihre Dienste, nachteilige Auswirkungen auf Grundrechte sowie vorsätzliche Manipulationen der Dienste, wozu die Verbreitung von Falschinformationen oder die Manipulation von Wahlprozessen zählen. Außerdem verpflichtet der DSA diese Plattformen dazu, wirksame Maßnahmen zur Minderung dieser Risiken zu treffen. Auf der anderen Seite des Regulierungsspektrums soll Verwaltungsaufwand für Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen reduziert werden, indem diese beispielsweise nicht die gleichen, weitgehenden Transparenzberichtspflichten treffen und außereuropäische Unternehmen die Möglichkeit einer kollektiven Vertretung für den Kontakt mit Behörden erhalten. Diese differenzierte Abstufung der Anforderungen an Online-Dienste ist das Ergebnis eingehender Interessenabwägungen und soll die unterschiedlichen Möglichkeiten und Risiken der Anbieter berücksichtigen. Ob die – teilweise höchst umstrittenen – Abgrenzungen der verschiedenen Kategorien im Einzelnen zu einer sachgerechten Differenzierung führen, wird jedoch erst die Umsetzung in der Praxis zeigen.

Für viele Online-Unternehmen dürfte es beruhigend sein, dass sich die bisherigen Haftungsprivilegien nicht grundlegend ändern. Sie werden für illegale Inhalte weiterhin grundsätzlich nicht haften – vorausgesetzt, sie haben keine Kenntnis dieser Inhalte. Allerdings müssen sie über umfassende Melde- und Abhilfeverfahren für illegale Inhalte, etwa Urheberrechtsverstöße oder Hatespeech, verfügen. Online-Unternehmen müssen zudem mit einem erheblichen Mehraufwand rechnen, um den Transparenzberichtspflichten nachzukommen. Konkret müssen regelmäßig Berichte über die Moderation von Inhalten veröffentlicht werden, die zum Beispiel Aufschluss geben über die Anzahl und Art von Meldungen zu illegalen Inhalten, über diesbezüglich getroffene Maßnahmen sowie über die auf Eigeninitiative durchgeführte Moderation von Inhalten und das interne Beschwerdemanagementsystem. Eine Herausforderung wird hier für die Unternehmen sein, zwischen dem Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse und den Transparenzanforderungen abzuwägen.

Als eine Verordnung wird der DSA auch in Deutschland unmittelbar gelten; es bedarf keiner Umsetzung in nationales Recht. Der DSA-Entwurf befindet sich aktuell in den Trilog-Verhandlungen zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Rat der EU. Der französische Präsident Macron räumt dem DSA hohe Priorität in der EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs in der ersten Jahreshälfte 2022 ein. Die EU-Kommission zielt auf ein Inkrafttreten des DSA in 2023 ab. Online-Unternehmen könnten sich daher sehr bald mit den neuen und gesteigerten Anforderungen des DSA konfrontiert sehen. Ein verschärftes Sanktionsregime mit Bußgeldern in Höhe von bis zu sechs Prozent des weltweit erzielten Jahresumsatzes sowie Zwangsgeldern von bis zu fünf Prozent des weltweit erzielten Tagesumsatzes des betreffenden Anbieters wird sicherstellen, dass der DSA kein zahnloser Papiertiger wird.

Dr. Fiona Savary ist Rechtsanwältin (Schweiz) bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Sie ist spezialisiert auf Rechtsfragen im Zusammenhang mit Informationstechnologie und Digitalisierung. Dr. Savary unterstützt Mandanten bei der Planung und Durchführung von IT-Projekten sowie im Bereich des E-Commerce und der digitalen Medien. Ferner berät sie zum Datenschutzrecht und bei der rechtssicheren Gestaltung von Internetplattformen.

 
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