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BB 2018, I
Haase 

Das Gericht kennt das Steuerrecht (nicht)!

Abbildung 1

Iura novit curia (Das Gericht kennt das Recht) ist ein alter lateinischer Grundsatz des Prozessrechts, der uneingeschränkt für das inländische Recht und die nach Art. 25 bzw. Art. 59 Abs. 2 GG in das innerstaatliche Recht transformierten Bestimmungen (also insbesondere auch DBA) sowie das europäische Gemeinschaftsrecht gilt. Er hat eine besondere Bedeutung im Zivilprozess, der durch die sog. die Verhandlungsmaxime gekennzeichnet ist: Die Parteien des Rechtsstreits müssen Tatsachen in den Prozess einführen, die ihr Begehren stützen, und sie müssen diese im Streitfall auch beweisen. Dem Gericht hingegen obliegt das Auffinden und die Kenntnis bzw. Interpretation einer Rechtsnorm auch in den Fällen, in denen die Parteien selbst keine konkrete Anspruchsgrundlage vorgetragen haben. Eine Beweisaufnahme bzw. Beweisführung über Rechtsnormen ist unzulässig.

Von dieser Regel gibt es nach der Zivilprozessordnung nur eine Ausnahme, die in § 293 ZPO normiert ist. Sofern geschriebenes oder ungeschriebenes ausländisches Recht in Rede steht und für den Prozess maßgebend ist, kann das inländische Gericht auf dieser Basis entscheiden, sofern es über eine eigene Sachkenntnis verfügt. Dies wird indes in praxi nur in Ausnahmefällen vorkommen. Im Übrigen aber kann über die Existenz und den Inhalt ausländischen Rechts Beweis erhoben werden, was in der Praxis zunächst über Parteigutachten, im fortdauernden Streitfall sodann im Weiteren über ein Sachverständigengutachten (z. B. des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg) geschieht. Die Rolle des nationalen Gerichts beschränkt sich in diesen Fällen nur noch auf eine Plausibilitätsprüfung. Es wird regelmäßig dem Sachverständigengutachten inhaltlich folgen, sofern das ausländische Recht nicht gegen den inländischen ordre public verstößt.

Im Steuerrecht liegen die Dinge schon deshalb anders, weil es sich um Hoheitsrecht handelt. Insofern gilt der Amtsermittlungsgrundsatz sowohl für die Finanzverwaltung (§ 88 AO) als auch für die Finanzgerichte (§ 76 FGO). Ferner zeigt sich in der Praxis eine gewisse Tendenz der Finanzverwaltung, die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise als Begründung dafür heranzuziehen, sich grundsätzlich über zivilrechtliche Vorgaben (z. B. in Verträgen) hinwegsetzen zu dürfen. Dies gilt schon im rein nationalen Kontext, aber immer öfter auch im internationalsteuerlichen Zusammenhang.

Die damit aufgeworfene Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen Zivil- und Steuerrecht wird verwaltungsseitig in der Praxis weitgehend ignoriert. Das BVerfG hat diese Frage u. a. im Anschluss an grundlegende Arbeiten von Tipke zwar dahingehend beantwortet, dass es im Bereich der Auslegung und Norminterpretation jedenfalls keine natürliche Prävalenz des Zivilrechts gebe. Das Steuerrecht steht demgemäß gleichrangig neben dem Zivilrecht und folgt mit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise einer eigenen Systematik bzw. Teleologie und darauf fußend oft auch einer eigenen Terminologie. Insofern ist nach dem Telos einer Norm in jedem Einzelfall festzulegen, ob und inwieweit einem zivilrechtlichen Regelungsbefehl Folge zu leisten ist oder ob der steuerrechtliche Regelungszusammenhang überwiegt und zu einer abweichenden Auslegung nötigt. Jedenfalls aber, wenn steuerrechtliche Normen explizit an zivilrechtliche Rechtsinstitute anknüpfen (etwa § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, der ausdrücklich auf den Erbfall nach § 1922 BGB verweist), besteht für eine eigenständige steuerrechtliche Auslegung kein Raum und auch kein Bedürfnis.

Nun kommt es im internationalen Geschäftsleben häufig vor, dass beispielsweise Verträge aufgrund einer wirksamen Rechtswahl dem ausländischen Recht unterstellt sind. Ebenso häufig kommt es vor, dass aufgrund der Regeln des Internationalen Privatrechts ein Sachverhalt nach einem ausländischen materiellen Zivilrecht zu lösen ist. In diesen Fällen kann kein Zweifel bestehen, dass dann ggf. auch das ausländische Zivilrecht im Rahmen der Prüfung eines inländischen Steuertatbestands heranzuziehen ist und je nach Lage des Einzelfalls auch eine Bindungswirkung entfaltet. Dieser Zusammenhang allerdings wird wie bereits erwähnt von der Finanzverwaltung oft nicht anerkannt und selbst von deutschen Finanzgerichten (wohl mangels Kenntnis der Regeln des Internationalen Privatrechts, die das auf einen Fall anwendbare Recht bestimmen) nicht immer beachtet.

Aus diesem Grund ist es zu begrüßen, dass der BFH mit Urteil vom 7.12.2017 (Az. IV R 23/14) in dankenswerter Klarheit entschieden hat, dass Gerichte Verträge, die ausländischem Recht unterliegen, nicht nach deutschem Recht auslegen dürfen. Die Finanzgerichte müssen danach nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch deren Anwendung in der Rechtspraxis ermitteln und haben hierfür ggf. einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Nun ist das Urteil in der Sache zwar wenig überraschend, weil § 155 FGO auch den Verweis auf § 293 ZPO einschließt und dies jedenfalls in den Rechtsbehelfsstellen der Finanzämter ebenfalls bekannt sein sollte. Es kann aber nicht schaden, die vorgenannten Zusammenhänge höchstrichterlich in Erinnerung zu rufen bzw. erstmals für das Steuerrecht zu adressieren. Zum einen hatte der BFH noch keinen ähnlichen Fall zu entscheiden, zum anderen spricht die Anwendungspraxis bisher in der Regel eine andere Sprache.

Prof. Dr. Florian Haase, M.I.Tax, RA/FAStR, ist Partner und Niederlassungsleiter im Hamburger Büro von Rödl & Partner sowie Inhaber der Professur für Steuerrecht, insbesondere Internationales und Europäisches Steuerrecht, an der HSBA Hamburg School of Business Administration.

 
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