Bürokratieentlastungsgesetz: Papiertiger oder Befreiungsschlag?
Nur gut gemeint reicht nicht – die vorgesehenen Entlastungen im Arbeitsrecht greifen viel zu kurz.
Ein hehres Ziel des Referentenentwurfs zum IV. Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV-E), den das Bundesministerium der Justiz Mitte Januar auf über 100 Seiten vorgelegt hat: die Entlastung in Höhe von immerhin 682 Millionen Euro für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft sowie die Verwaltung durch den Abbau von überflüssiger Bürokratie – absolut lobenswert und notwendig angesichts der aktuellen vielschichtigen Herausforderungen und der wachsenden Unzufriedenheit mit den bürokratischen Mühlen in unserem Land. Klagen zu Bürokratie-Burnout und Papierkollaps häufen sich quer durch alle Wirtschaftszweige.
Ein Blick auf die Regelungen im arbeitsrechtlichen Bereich: Hält der Entwurf, was er verspricht? Können sich die Arbeitsrechtler in den Unternehmen und die HR-Abteilungen tatsächlich auf echte Entlastung freuen? Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist ernüchternd, mit viel Wohlwollen kann man von Trippelschrittchen sprechen, kritischer betrachtet ist es heiße Luft, die wenig ändern wird.
Hierbei lohnt insbesondere ein Blick auf die Änderungen im Nachweisgesetz: Schnell nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs frohlockten einige Vertreter in den sozialen Medien und sonstigen Gazetten – endlich sei sie da, die Abkehr von der mühsamen Schriftform hin zur digitalen Welt. Bei näherer Analyse ist die Neuregelung aber schlicht nicht praxistauglich: Der Entwurf des BEG IV sieht eine Änderung dergestalt vor, dass die Schriftform beim Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen bzw. deren Änderung nun in bestimmten Fällen durch die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur ersetzt werden kann. Diese Änderung scheint auf den ersten Blick eine Modernisierung und Digitalisierung der Arbeitsprozesse zu fördern. Allerdings gibt es zwei große Haken: Zum einen kann auf die Schriftform eben nur verzichtet werden, wenn der Arbeitsvertrag in qualifizierter elektronischer Form (§ 126a BGB) geschlossen wurde. Die qualifizierte elektronische Signatur (qeS) ist schon bei Arbeitgebern nicht weit verbreitet, die Einführung kostenintensiv, so dass es gerade für Kleinunternehmer und Mittelständler meist keine Option ist. Aber was noch viel relevanter ist: auch der Bewerber müsste den Arbeitsvertrag per qualifizierter elektronischer Signatur unterzeichnen und damit Zugang zu dem System haben – das geht leider an der Realität vorbei.
Und es gibt einen weiteren Aspekt, der die mangelnde Durchdachtheit der Neuregelung zeigt: Die Form nach § 126a BGB reicht nur, wenn alle Angaben des NachweisG in dem in qualifizierter elektronischer Form geschlossenen Arbeitsvertag enthalten sind. D. h. im Umkehrschluss: Wenn in Teilen der Nachweis durch einseitige Mitteilung der Arbeitsbedingungen erfüllt wird, muss dieser auch weiterhin in Papier mit eigenhändiger Unterschrift erbracht werden. Dies dürfte in der Praxis häufig der Fall sein bei dem Nachweis zu kollektiv geregelten Unternehmensleistungen, Schichtsystemen, Möglichkeiten zu mobilen Arbeiten etc. Denn diese Dinge unterliegen Veränderungen, eine Regelung im Arbeitsvertrag wäre viel zu starr.
Fazit: Die vorgesehenen Änderungen im NachweisG sind allenfalls ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein der Bürokratie. Nach wie vor bleiben die Möglichkeiten der EU-Richtlinie ungenutzt. Diese erlaubt eine flexiblere Handhabung, indem sie die elektronische Übermittlung der Arbeitsbedingungen zulässt, sofern diese gespeichert und ausgedruckt werden können und die Übermittlung sowie der Empfang nachweisbar sind. Eine Umsetzung in dieser Form, beispielsweise durch die Zulassung der Textform wie etwa per E-Mail, hätte eine echte Vereinfachung und Entlastung für die Arbeitgeber bedeutet. Zumal viele Unternehmen bereits in die Digitalisierung ihrer HR-Prozesse investiert hatten (Stichwort z. B. elektronische Personalakte, digitale Workflows für Personalprozesse) und diese nach dem ersten Entwurf des Nachweisgesetzes wieder rückgängig machen mussten oder aktuell zweigleisig fahren, in der Hoffnung, dass der Gesetzgeber doch noch nachzieht und seinem Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die Digitalisierung voranzutreiben, gerecht wird.
Und wie sieht es sonst aus? Einige Verbesserungen gibt es durchaus. So soll zukünftig das Schriftformerfordernis für Zeugnisse entfallen, Anträge auf Elternzeit können per Textform gestellt werden etc. Aber es gäbe so viel mehr zu tun in Richtung Entlastung und Digitalisierung im Arbeitsrecht. Zum Beispiel wird das Betriebsverfassungsgesetz durch das BEG IV nicht adressiert, dabei wäre es ein Traum für Entbürokratisierungsfans: Wer schon mal eine Betriebsratswahl in einem größeren Betrieb organisiert hat, kann ein Lied von komplizierten Wahlverfahren und manueller Stimmabgabe singen. Hier könnte man mehrere wünschenswerte Ziele erreichen: Man würde echte Entlastung schaffen für die an der Wahl Beteiligten und damit für die Unternehmen, die die Kosten tragen. Außerdem würde man einen großen Beitrag leisten zu mehr Akzeptanz von Betriebsräten in den Belegschaften – übrigens ein großes Anliegen der aktuellen Regierung. Gerade jüngere Mitarbeiter können mit einem zwangsweise analog tickenden Betriebsrat wenig anfangen und das nicht mehr wegzudenkende Mobile Arbeiten führt zu immer geringerer Wahlbeteiligung und damit zu einem Legitimationsproblem der Betriebsräte. Es macht eben einen Unterschied, ob ich am Wahltag umständlich ins betriebliche Wahllokal fahren muss oder von wo auch immer per Klick wählen kann. Die technischen Möglichkeiten für digitale Wahlen liegen vor. In anderen Ländern werden sogar Präsidenten digital gewählt, hierzulande gibt es allenfalls bei Sozialversicherungswahlen vorsichtige Ansätze. Hier täte mehr Mut gut, würde in Unternehmen und bei Betriebsräten gleichermaßen auf viel Zustimmung stoßen und würde dem Motto des Koalitionsvertrags “Mehr Fortschritt wagen” gerecht werden.
Dr. Nelly Gerig, Rechtsanwältin, Mediatorin, seit über 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig; Bereichsleiterin Arbeitsbeziehungen, Richtlinien und Grundsatzfragen bei der Otto Group; zugleich Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen BVAU e. V. (http://www.bvau.de).