Braucht der Markt neue Maßstäbe für die Auswahl von Insolvenzverwaltern?
Einige Ausnahmefälle von Veruntreuung in Millionenhöhe, der Vorwurf geringer Ausschüttungsquoten infolge mangelhafter Qualifizierung von Insolvenzverwaltern sowie eine Überzahl an Bewerbern für das Verwalteramt und die Anerkennung eines verfassungsrechtlich geschützten Berufsbildes für Insolvenzverwalter haben eine lebhafte Diskussion darüber entfacht, ob und auf welche Weise die Qualität des Verwalters sowie die gerichtliche Aufsicht und Kontrolle in Insolvenzverfahren sichergestellt werden können. Richtig ist, dass die teilweise unterschiedlichen wirtschaftlichen Ergebnisse einiger Insolvenzverfahren die Feststellung des früheren Leipziger Rechtslehrers Ernst Jaeger zu bestätigen scheinen, dass die Auswahl des Insolvenzverwalters die “Schicksalsfrage des Konkurses” ist.
Das Gesetz weist in § 56 Abs. 1 InsO die Primärzuständigkeit für die Bestellung des Insolvenzverwalters dem Richter zu, dessen Entscheidung in der ersten Gläubigerversammlung allerdings gem. § 57 InsO durch mehrheitliche Wahl eines anderen Insolvenzverwalters korrigiert werden kann. Dies geschieht in der Praxis jedoch selten. Inzwischen ist ein regelrechter Kampf um das attraktive Verwalteramt entbrannt. Die Bestellung im Einzelfall ist zwar in das pflichtgemäße Ermessen des Insolvenzrichters gestellt, jedoch fällt es den Gerichten bei teilweise über hundert Bewerbern schwer, die Qualifikation des einzelnen Bewerbers eingehend zu prüfen, zumal Vertrauen nur im Rahmen längerer Zusammenarbeit aufgebaut werden kann. Der Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung der Aufsicht im Insolvenzverfahren (GAVI) des Landesjustizministeriums NRW, eine aus Vertretern der multipolaren Verfahrensinteressen 2006 in Köln gebildete Kommission (sog. Uhlenbruck-Kommission) sowie ein 2007 gegründeter “Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte” (BAK InsO) befassen sich eingehend mit Kriterien für die Aufnahme von Bewerbern in eine sog. Vorauswahlliste, der Bestellung im konkreten Einzelfall sowie mit Maßnahmen der Transparenz und Kontrolle in Insolvenzverfahren.
Begleitend werden inzwischen Rating- und Zertifizierungsverfahren angeboten, die den Gerichten die Entscheidung erleichtern sollen, wer in die Vorauswahlliste aufgenommen oder delistet wird. Eine Nichtbestellung über einen längeren Zeitraum gilt als “kaltes Delisting” mit Anfechtungsmöglichkeit. Inzwischen wird sogar ein internetbasiertes System professioneller Verwalterauswahl und Bewerberverwaltung kommerziell offeriert, um den Gerichten die Suche nach geeigneten Verwaltern zu erleichtern. Darüber hinaus soll die Zertifizierung eines Qualitätsmanagements den Gerichten und Gläubigern die Kontrolle der Insolvenzabwicklung erleichtern und Missbrauchsfälle weitgehend ausschließen.
Festzustellen ist, dass wohl kaum ein Berufsbild einem solch starken Wandel unterworfen gewesen ist wie das des Insolvenzverwalters. Die Entwicklung vom “Sterbehelfer” zum Unternehmensretter und “letzten freien Unternehmer” hat die Tätigkeit als Insolvenzverwalter vor allem bei Unternehmensinsolvenzen salonfähig und für hoch qualifizierte Spitzenkräfte auch finanziell attraktiv gemacht. Inzwischen sind über 1200 Insolvenzverwalter in Berufsverbänden organisiert, die allerdings von den Gerichten mangels Geschäftsanfall nicht alle auskömmlich beschäftigt werden können. Die Folge einer Nichtberücksichtigung vor allem jüngerer Bewerber, aber auch bewährter Insolvenzverwalter, führte zu zahlreichen gerichtlichen Verfahren, die sich teilweise sogar als “Konkurrentenklagen” gegen gerichtlich bestellte Verwalter richteten. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen Rahmenbedingungen für ein sog. Listing, d. h. die Aufnahme eines Bewerbers auf eine Vorauswahlliste, aufgezeigt und deutlich gemacht, dass es nicht allein um das Interesse der Bewerber an chancengleichem Zugang zum Insolvenzverwalteramt geht, sondern in erster Linie das Interesse der Gläubiger und des Schuldners an einem reibungslosen und zügigen Fortgang des Insolvenzverfahrens und damit insbesondere an einer schleunigen Bestellung des Insolvenzverwalters zu berücksichtigen ist.
Angesichts der Tatsache, dass sich Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuerberater und Sanierungsspezialisten in zunehmendem Maße um eine Aufnahme in die Vorauswahlliste der Gerichte bemühen, stellt sich nicht zuletzt im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Zulassungsbeschränkung die Frage, ob der Markt neue Maßstäbe für die Auswahl von Insolvenzverwaltern braucht. Um die Qualität der Verfahrensabwicklung zu gewährleisten, was nicht zuletzt auch seitens der Verwalter eine spezielle Bürostruktur und permanente Befassung mit Insolvenzproblemen erfordert, ist diese Frage eindeutig zu bejahen. Nur durch höchste Anforderungen an die Befähigung des Verwalters kann die Vorauswahlliste auf ein marktverträgliches Maß beschränkt und die Qualität der Verfahrensabwicklung künftig gewährleistet werden. Ein Juristenmonopol für die Tätigkeit als Insolvenzverwalter wird es vor allem bei sanierenden Unternehmensfortführungen künftig nicht geben, denn neben Rechtskenntnissen sind gleichermaßen betriebswirtschaftliches Wissen und unternehmerische Fähigkeiten gefragt. Profitieren werden von einer strengen Auslese vor allem die Gläubiger, die die wirtschaftlichen Folgen einer Insolvenz zu tragen haben.
Professor Dr. Wilhelm Uhlenbruck