“Aufgeklärter Absolutismus” oder Wertegleichgewicht? – Von “nichtfinanzieller” Berichterstattung zu Impact Valuation
Die Europäische Kommission führt derzeit eine Konsultation zur Richtlinie 2014/95/EU über die Berichterstattung “nichtfinanzieller” Informationen durch. Das eine Lager folgt dabei einem “aufgeklärten Absolutismus”: Sie halten am Primat des Shareholder Value fest, appellieren aber an die Verantwortung zur Nachhaltigkeit mit unverbindlichen Leitlinien. Das andere Lager formuliert ein neues Wertegleichgewicht: Unternehmen sollen die positiven und negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit für Gesellschaft und Umwelt in das Zentrum ihrer finanziellen Wertschöpfung stellen.
Die Welt hat sich verändert. Klimawandel, COVID-19, soziale Ungleichgewichte und nationale Handelsbeschränkungen machen die Risiken für uns alle sichtbar. Rechnungslegung ist nicht mehr allein Sache der Unternehmensfunktionen Finanzen und Controlling oder der Wirtschaftsprüfer. Verschiedene Anspruchsgruppen und Experten anderer Wissensgebiete haben die zentrale Rolle der Messung sozialer und ökologischer Wirkungen von Unternehmen erkannt.
Ein größer werdender Kreis in der Wirtschaft ist sich der hohen Bedeutung entscheidungsrelevanter, “vorfinanzieller” Informationen bewusst. “Impact Valuation” ist eine Methodik, mit der diese “vorfinanziellen” Informationen oder externen Effekte auf Umwelt und Gesellschaft gemessen, monetär bewertet und in die Unternehmenssteuerung integriert werden können. Die Bewertung orientiert sich daran, wie unternehmerisches Handeln das Wohlergehen des Menschen beeinflusst. Beispielsweise geht es um den wahren Wert bzw. die wahren Kosten von Treibhausgas-Emissionen, Weiterbildung, Arbeitsunfällen oder Steuerzahlungen.
Während das eine Lager die Vorteile für das Risiko- und Chancenmanagement betont, befürchtet das andere eine unangemessene, inkonsistente Erweiterung der klassischen Rechnungslegung. Die Verfechter des Primats des Shareholder Value argumentieren zum einen, dass Haftungsfragen ungeklärt seien. Dem ist zu entgegnen, dass die nachhaltige Unternehmensführung sich nicht primär von rechtspolitischen Fragen leiten lassen soll. Vielmehr muss es um eine ganzheitliche Darstellung des Wertbeitrags von Unternehmen gehen, so dass unterschiedliche Anspruchsgruppen, wie Management, Investoren oder die Zivilgesellschaft, die Chancen und Risiken eines Geschäftsmodells besser beurteilen können. Mit einer standardisierten Methode basierend auf Impact Valuation und einheitlichen Spielregeln lassen sich im Übrigen auch die Haftungsrisiken minimieren.
Das andere Argument, wonach immer neue Transparenzvorschriften den Wesentlichkeitsgrundsatz verwässern, wiegt schwerer. Die Wesentlichkeit von Informationen, auch Materialität genannt, ist abhängig davon, was die wirtschaftlichen Entscheidungsträger als relevant ansehen. Inhalt, Umfang und Adressatenkreis werden in der Diskussion über globale Standards stark relativiert. Hier ist zu entgegnen, dass wissenschaftliche Studien und lang andauernde Übungen in der Geschäftspraxis zeigen, dass ökologische und soziale Indikatoren sehr wohl wesentlich sind. Mit dem deutschen Rechnungslegungsstandard DRS 20 herrscht auch die Rechtsüberzeugung dahingehend, dass die Wesentlichkeit “vorfinanzieller” Informationen gegeben ist, wenn diese zur Beurteilung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage notwendig sind. Impact Valuation macht durch den Schritt der Monetarisierung diese Zusammenhänge sichtbar.
Die Standardisierung einer Impact-Valuation-Methode in der Rechnungslegung ist elementar zur Schaffung von Vergleichbarkeit finanzieller und “vorfinanzieller” Informationen. Sie ermöglicht Entscheidungsträgern, ökologische, soziale und humane Wirkungen ihres Handelns über eine einheitliche Metrik in die Entscheidungsfindung zu integrieren. Dafür muss eine sektorübergeifende Partnerschaft aufgebaut werden, die mit fünf Schritten beginnt: Erstens müssen wir eine gemeinsame Wissensbasis zwischen den traditionellen Berufsgruppen und neuen Akteuren schaffen. Zweitens müssen wir die Vergleichbarkeit und Qualität der Informationen durch Standards auf globaler Ebene sichern. Deutschland und die Europäische Union können hier in der G20 eine Führungsrolle übernehmen. Drittens müssen wir ein Managementmodell entwickeln, das sich am Prinzip des Wertegleichgewichts und der Impact-Valuation-Methode orientiert. Viertens muss dieses neue Modell mit den existierenden Rahmenwerken zur Rechnungslegung und Berichterstattung in Einklang gebracht werden. Wenn Menschen in Unternehmen aufgrund von Impact-Valuation-Standards ausgewogene Entscheidungen in der Praxis treffen können, dann rückt der fünfte Schritt immer näher: Die Marktakteure nehmen Impact Valuation als neuen modus operandi, als Normalität auf.
Eine solche sektorübergreifende Partnerschaft gibt es bereits. Die value balancing alliance e. V. (vba) vereint führende Unternehmen aus der ganzen Welt, die größten Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und renommierte Wissenschaftler. Mit Unterstützung der OECD und im Auftrag der EU-Kommission entwickelt und pilotiert die vba einen globalen Standard für Unternehmen, um negative und positive Wirkungen zu monetarisieren, zu veröffentlichen und in ihre Bewertungs- und Entscheidungsprozesse einzubetten. Lassen Sie uns den Dialog über umsetzbare Modelle und globale Standards beginnen.
Christian Heller ist CEO der value balancing alliance e. V. mit Sitz in Frankfurt a. M. und Vice-President bei der BASF. Er ist Mitglied des Advisory Council der Impacted Weighted Accounts Initiative der Harvard Business School und Mitglied des Advisory Board von Shift – Valuing Respect Project.