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BB 2020, I
Fritz 

Auf dem Weg in die Schuldensackgasse? – Die schnelle Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie ist dringender denn je geboten!

Abbildung 1

Im Mittelalter wurden Schuldner in den Schuldturm gesperrt. Das ist lange vorbei. Dennoch befinden sich im Frühjahr 2020 viele Unternehmer und Geschäftsleiter in der beklemmenden Situation, zusehen zu müssen, wie sich ihre Schulden auftürmen.

Als der Gesetzgeber am 25. März 2020 in Rekordzeit das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVFAG, BGBl. 2020, S. 569 ff.) beschloss, liefen die wirtschaftlichen Hilfs- und Förderprogramme erst an. Im Kern finden sich in diesem Gesetz Regelungen zur (nicht unbedingten!) Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zu Moratorien u. a. für auch gewerbliche Mieter und generell für Kleinunternehmer.

Die Idee war und ist gut gemeint und bildet den vorläufigen Schlusspunkt eines Gesamtgefüges, dessen Ausgangspunkt Hilfsprogramme von Bund und Ländern zur Bereitstellung von Finanzmitteln zur Überbrückung der Liquiditätsengpässe und Deckung der Eigenkapitallücken waren. Auf nächster Ebene stehen die zivilrechtlichen Moratorien, v. a. zugunsten von Kleinunternehmern und Verbrauchern. Um die Anlaufphase zu überbrücken und für Fälle, in denen die Moratorien bzw. Stundungen allein nicht ausreichend waren, wurde als letzter Schutz die Insolvenzantragspflicht (momentan befristet bis zum 30. September 2020) durch das COVInsAG ausgesetzt (s. dazu Rath, BB 17/2020, “Die Erste Seite”, und Lütcke/Holzmann/Swierczok, BB 2020, 898 ff. sowie Frind, BB 2020, 1346 ff., in diesem Heft).

Neben privaten Gläubigern gewähren auch Fiskus und Krankenkassen den von der Pandemie betroffenen Schuldnern momentan unbürokratisch Stundungen. Das hilft – fürs Erste. Denn so schnell diese einfach umsetzbaren Maßnahmen die massiven Umsatzeinbrüche abfedern, so schnell macht sich die Kehrseite der Medaille bemerkbar: Die Nachfrage und Umsatze steigen nur langsam wieder – wenn überhaupt – und die Ausfälle werden sich so für die meisten Unternehmen nicht aus eigener Kraft kompensieren lassen. Derweil verschwinden die durch Kredite und Stundung aufgelaufenen Schulden nicht.

Ferner wägen sich etliche Unternehmer und Geschäftsleiter leider in einer falschen Gewissheit. Denn schon im zweiten Satz des COVInsAG heißt es, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht dann nicht greift, wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Genau hierauf müssen aber umsichtige Berater und ihre Mandanten, die nun so leicht wie nie Schulden anhäufen können, achten. Die Frage ist dabei recht simpel: Reichen die in Zeiten der immer noch virulenten Pandemie realistischerweise reduzierten Umsätze, ggf. ergänzt um frisches Geld, aus, für die nächste Zeit die (ggf. durch Kurzarbeitergeld oder anderweitig reduzierten) Kosten zu decken und können die durch Darlehen und Stundungen aufgetürmten Schulden bei zu erwartenden künftigen Umsätzen getilgt werden? Mit anderen Worten: Besteht zukünftig die Fähigkeit, den Schuldendienst zu leisten?

Ist das nicht gewährleistet, ist die faktische oder materielle Insolvenz stets nur eine Frage der Zeit. Entweder haben die Unternehmen schlicht kein Geld mehr, um Waren oder Rohstoffe zu bezahlen. Oder sie sind bereits jetzt schon materiell insolvent, wenn eben keine Aussicht mehr besteht, eine Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen – sodann besteht auch die Insolvenzantragspflicht fort. Und hier wird es mitunter unfair: Etliche Unternehmen erhalten Hilfen, andere fallen durchs Raster. Unternehmen im Privatbesitz bekommen relevante Hilfen nur, wenn die Eigner das Familienvermögen einschießen oder sich persönlich verbürgen. Das hat indes zur Konsequenz, dass eine dann ggf. noch nötig werdende außergerichtliche Restrukturierung oft nicht mehr gelingen kann, denn erfahrungsgemäß erwarten die Gläubiger, an sich auch zu Recht, dass die Eigner ihnen etwas anbieten. Genau diese Manövriermasse verlieren die Unternehmer aber gerade, sodass die Anforderungen an ein gelungenes Stakeholder-Management höher denn je sind. Dann bleibt nur die Insolvenz. In Branchen, wo es momentan keine Investorennachfrage gibt, ist diese indes kein wirklich taugliches Sanierungsmittel.

Was bleibt? Wirtschaft und Politik müssen das sich auftürmende Schuldenproblem in den Griff bekommen. Das kann schon jetzt außergerichtlich zwischen Schuldnern und Gläubigern geschehen. Von der Bundesjustizministerin kann man aber auch erwarten, dass sie die Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie zur Chefsache macht und diese nun rasch umgesetzt wird. Die Richtlinie sieht umfassende Moratorien und Mechanismen zur Schuldenbereinigung mit qualifiziertem Mehrheitsentscheid vor. Alle Vorschläge für diesen Restrukturierungsrahmen liegen auf den Tisch. Die schnelle Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie ist also dringender denn je geboten.

So leicht sich jetzt Schulden aufbauen, müssen Berater mit ihren Mandanten nun und gerade auch mangels Restrukturierungsrahmens umso mehr “vom Ende her” denken. Mitunter und sicher branchen- und marktabhängig, kann auch der Weg in die Eigenverwaltung für den Unternehmer bessere Chancen bieten, als in der Schuldensackgasse zu landen. Das setzt aber eben voraus, dass die Eigentümer noch etwas anbieten können und nicht schon alles investiert haben. Hier müssen auch die Gläubiger bei Stundung und Kreditvergabe – auch aus eigenem Interesse – vorausschauend agieren.

Daniel F. Fritz, RA, ist Partner der globalen Wirtschaftskanzlei Dentons Europe LLP in Frankfurt a. M. Er ist Mitglied der Praxisgruppe Restrukturierung und konzentriert sich auf die Bereiche Restrukturierung und Insolvenzrecht, inkl. des europäischen Insolvenzrechts. Herr Fritz ist Private Expert der EU-Kommission für die Einführung eines präventiven Restrukturierungsrahmens und Sprecher der AG Europa der Arbeitsgemeinschaft für Insolvenzrecht und Sanierung im DAV. Der Beitrag gibt seine persönliche Ansicht wieder.

 
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