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Zumkeller 

Arbeitsrechtliche Neuerungen – es ist Zeit!

Abbildung 1

Es ist Zeit. Zeit für Entbürokratisierung. Für Vereinfachung. Für Entschlackung.

Voller Vorfreude habe ich die 32. Auflage meines sehr geschätzten Kommentars zum Betriebsverfassungsgesetz in Empfang genommen. Alles wie gewohnt (nun, fast alles) – handliches Format, blauer Einband, rote und weiße Schrift (der geneigte Leser weiß längstens nun, um welchen Kommentar es sich handelt). Ein Kommentar zum BetrVG leistet man sich nicht alle neuen Auflagen, ich als Schwabe ohnedies nicht, hatte also drei Auflagen “ausgelassen”.

Und nun in Händen. Welches Gefühl. Aber halt . . . ist er nicht unhandlicher, schwerer, dicker geworden? Ein Blick auf die Seitenzahl: 2 538 steht auf der letzten (bedruckten) Seite. Und in der anderen Auflage? 2 243. Also doch!

13,15 % umfangreicher. In so kurzer Zeit.

Leider ist das symptomatisch für das, was die Bundesregierung uns Arbeitsrechtlern und Labour Relations Experten seit Jahren zumutet. Auf der Banderole steht dann auch ganz stolz “mit den neuen Regelungen zum Hinweisgeberschutzgesetz, Betriebsratsvergütung, Arbeitszeiterfassung”. Wir könnten das fortführen, was der Gesetzgeber uns in den letzten Jahren aufgebürdet hat: FüPoG, EntgTG, § 80 Abs. 3 S. 2 BetrVG, Lieferkettengesetz, CBAM, . . .

Ich sage und meine damit ausdrücklich nicht, dass die Zielrichtung all dieser Gesetze falsch wäre. Im Gegenteil. Aber sie sind nicht umsetzbar. Oder Bürokratiemonster. Oder Kostentreiber.

All das können wir heute weniger brauchen denn je!

Nehmen wir, nur beispielhaft, § 80 Abs. 3 BetrVG: “Der Betriebsrat kann bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Muss der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen, gilt insoweit die Hinzuziehung eines Sachverständigen als erforderlich. . . .”

Was steckt hinter dieser Regelung? Die Annahme, dass Betriebsräte grundsätzlich zum Thema Künstlicher Intelligenz (KI) nichts Sinnvolles beitragen können. Das ist so falsch wie weiland in den 1980er Jahren die Einführung von ISDN und SAP oder Paisy. Was richtig war: Da die Gerichte mit diesen technischen Neuerungen nicht wirklich viel anfangen konnten (was ihnen niemand vorhält), sind Gutachter ohne größere Bedenken über § 80 Abs. 3 S. 1 in die Betriebe gekommen – denn was ein Arbeitsrichter nicht vollständig überblickt, kann ein Betriebsrat auch nicht verstehen, so wohl die Logik. Aber, wie gesagt, falsch: Ich habe damals erlebt, wie manch ein Betriebsratsmitglied dem Sachverständigen erklären musste, um was es geht! Eines hat der Gesetzgeber mit der Regelung erreicht: Keinen Streit mehr über die Erforderlichkeit!

Keinen Streit mehr über die Erforderlichkeit, ja. Aber Streit über die Einführung von KI. Und Streit über die Eigenschaft von Sachverständigen als Sachverständige.

Zunächst zu letzterem: Vor vielen Jahren hatte ich Verhandlungen mit einem Betriebsrat, der einen Sachverständigen beizog. War erforderlich – nun ja. Er übergab mir eine Visitenkarte: “Herr X, Sachverständiger”. Auf meine Frage: “Sachverständiger für . . .?” antwortete er: “Ach, eigentlich alles, aber Rechtsberatung darf ich nicht erteilen.” Also als Pragmatiker sage ich: Schweigen und verhandeln.

Das andere Thema – “Einführung von KI”. Was ist KI? Ich denke guten Gewissens kann man sagen, dass es derzeit viele Anbieter gibt, die auf ihr Softwarepaket “KI” schreiben – ohne dass KI drin ist. Erstens will jeder Arbeitgeber schick und modern sein und sich der Verwendung von KI brüsten. Zweitens wissen das die Anbieter und greifen eben zu dem PR-Gag den (ungeschützten) Begriff “KI” auf die Packung zu schreiben. Es muss ja niemand deklarieren, was drinsteckt – ein einfacher “wenn-dann” Algorithmus, oder wirklich KI. Und es muss auch keiner – denn die KI ist das Geheimnis, das bewahrt werden muss, es ist schließlich die Geschäftsbasis des Verkäufers. Nur bei Chicken-Nuggets muss draufstehen, ob sie aus Filet oder aus zerkleinerten Hühnchenresten bestehen.

Und so fort. Gesetze, die wenig Sinn machen: Das Entgelttransparenzgesetz mit dem “Median” (gehen Sie mal auf die Straße und fragen 100 Passanten . . . ich tippe auf fünf, die eine – richtige – Antwort parat haben). Mit dem Einbezug aller Entgeltbestandteile verwirrt der Gesetzgeber auch – denn insbesondere die ungleichmäßige Nutzung, z. B. Kita-Zuschüsse (typischer Weise nur jüngere Beschäftigte), oder auch Kantinenzuschüsse (hier kommt mein Bias zum Tragen: In meiner Wahrnehmung essen Frauen typischer Weise weniger als Männer) verzerren die Ergebnisse. Und, ja, und: Das Gesetz kennt nur Männer und Frauen. Wie übrigens auch das FüPoG. Die Realität weiterer Geschlechter ist – 2024 – beim Gesetzgeber immer noch nicht angekommen.

Um gar nicht andere Gedanken aufkommen zu lassen: Ich bin für Transparenz. Ich bin gegen Entgeltungleichheit. Meines Erachtens nach sollte mit einem sachkundigen Betriebsrat verhandelt werden. Ich bin für ethisch einwandfreie Lieferketten. All das, ja, die Zielrichtung ist richtig. Aber so wie ich mit Pfeil und Bogen vielleicht richtig zielen würde (mache ich als Pazifist nicht) – ich würde nicht treffen. Das haben Gesetzgeber und ich gemeinsam.

Und ein echter Schlager, das Nachweisgesetz – alle (!) Arbeitgebenden müssen ihren Beschäftigten in Originalunterschrift einen Nachweis über die wichtigsten Arbeitsbedingungen übergeben. Die Behauptung des Gesetzgebers in der Begründung, wer heute schon einen schriftlichen Arbeitsvertrag habe, brauche das nicht – falsch. Und nun der Versuch über das vierte Entbürokratisierungsgesetz, die Schriftform mit der qualifizierten elektronischen Unterschrift auszutauschen – hat jemals ein Politiker einen Praktiker gefragt, was das bedeutet? Nein.

Es ist Zeit. Zeit für Entbürokratisierung. Für Vereinfachung. Für Entschlackung. Dafür, dass die Politik entscheidet, was sie inhaltlich will, und den Praktikern überlässt, wie das geht. Die Welt um uns herum fängt schon an zu lachen, wie wir uns selbst lähmen, statt einen Wirtschaftsaufschwung zu generieren. Das war mal anders!

Alexander R. Zumkeller, MBA, RA, Wirtschaftsmediator, ist Präsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (www.bvau.de), der branchenübergreifenden, personenbezogenen und bundesweit tätigen Vereinigung für Arbeitsrechtler in Unternehmen. Nach 20 Jahren in Arbeitgeberverbänden, zuletzt als Geschäftsführer tätig, ist er seit 2007 bei ABB und heute dort Arbeitsdirektor und Country HR Manager ABB Deutschland.

 
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