Anti-BEPS-RL: wirksames Mittel zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken?
Die mediale Berichterstattung über die Steuervermeidungspraktiken namhafter internationaler Großkonzerne sorgt für Aufregung; die Bevölkerung ist erzürnt, wenn sie den Vergleich zur eigenen (subjektiv oftmals überschätzten) Steuerbelastung zieht. Die Politik steht wiederum unter Erfolgsdruck. Die EU wollte der Politik u. a. mit der Anti-BEPS-RL vom 12.7.2016 zu Hilfe kommen: Nach den Erwägungsgründen soll damit das “Vertrauen in die Fairness der Steuersysteme wiederhergestellt” und den “Regierungen eine wirksame Ausübung ihrer Steuerhoheit ermöglicht” werden; die Anti-BEPS-RL möchte der Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlagen (Gewinnverkürzung) im Binnenmarkt sowie der Gewinnverlagerung in Drittländer entgegenwirken. Dafür sind fünf konkrete Maßnahmen vorgesehen: Zinsschranke, Wegzugsbesteuerung, allgemeine Missbrauchsklausel, Hinzurechnungsbesteuerung und Regelungen zu hybriden Gestaltungen.
Trotz der ehernen Ziele der Anti-BEPS-RL war die österreichische Verhandlungsposition teilweise kritisch; insbesondere die hochkomplizierte Zinsschranke schießt u. E. über das Ziel hinaus, weil sie auch die normale Bankenfinanzierung erfasst. Letztlich willigte Österreich aber ein, weil es politisch in Österreich kaum kommunizierbar gewesen wäre, einer Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken nicht zuzustimmen. Damit wird die deutsche Zinsschranke zum (aufgezwungenen) Exportartikel, Österreich möchte zumindest den für die Zinsschranke verlängerten Übergangszeitraum bis Ende 2023 voll ausschöpfen.
Misst man die Anti-BEPS-RL an ihren Zielen, tritt Ernüchterung ein; denn aus deutscher wie aus österreichischer Perspektive stiftet das vorgesehene Maßnahmenbündel kaum zusätzlichen Nutzen. Nicht angetastet wurde das in der Praxis zur Steuervermeidung eingesetzte Instrument der Lizenzgebühren; den unfairen Lizenz-/Patentboxregimen wurde vielmehr ein Übergangszeitraum bis Juni 2021 eingeräumt. Österreich tangiert dies aber nicht mehr, weil bereits 2014 ein Abzugsverbot für Zinsen und Lizenzgebühren eingeführt wurde, wenn diese beim konzernzugehörigen Empfänger (nominell oder tatsächlich) mit weniger als 10 % besteuert werden. Stand die österreichische Beratungspraxis diesem Abzugsverbot anfangs noch kritisch gegenüber, sprechen namhafte Vertreter im Lichte der drohenden Zinsschranke nunmehr von einer zielgerichteten und mit deutlich geringeren Compliance-Kosten verbundenen Regelung (z. B. SWK 2016, 1063). Deutschland zieht nach und hat den Entwurf einer Lizenzschranke vorgelegt. Anders als in Österreich orientiert sich der Gesetzesentwurf zu § 4j EStG zwar am Nexus-Ansatz, ist aber vergleichsweise schwer verständlich und wohl auch nicht einfach im späteren Vollzug.
Dies verdeutlicht aber: Da die Maßnahmen der Anti-BEPS-RL zahnlos sind, versuchen Länder wie Deutschland oder Österreich weiterhin eigenständig, die Steuervermeidungspraktiken in den Griff zu bekommen. Die von der Anti-BEPS-RL gewünschte koordinierte Vorgehensweise erfolgt gerade nicht. Die einzelstaatlichen Alleingänge treiben zudem merkwürdige Blüten: Nach Großbritannien 2015 wollte zuletzt auch Frankreich eine diverted profits tax einführen. Vereinfacht gesagt sollen damit künstlich vermiedene Betriebsstätten mit einer Strafsteuer belegt werden; diese Strafsteuer auf verschobene Gewinne wird auch als “google tax” bezeichnet. In der Tat ist das grundsätzliche Ansinnen nachvollziehbar, bedienen sich doch Internet-Giganten wie Google Steuergestaltungen, die mit dem bisherigen ertragsteuerlichen Instrumentarium kaum zu bändigen sind. Dennoch erscheint es rechtsstaatlich bedenklich, wenn als Reaktion Steuern eingeführt werden, die wohl gegen DBA- und EU-Recht verstoßen. Zumindest in Frankreich wurde das Projekt Strafsteuer (vorläufig) gestoppt, weil die konkrete Ausgestaltung vom französischen Verfassungsrat als verfassungswidrig erklärt wurde (allerdings nur wegen des Anwendungsermessens der Steuerverwaltung).
Im Lichte der Steuervermeidungspraktiken gilt es das traditionelle Betriebsstättenkonzept kritisch zu hinterfragen; einige Staaten legen ihre Hoffnungen in das Multilaterale Instrument (MLI), weil dieses in den Art. 12 bis 15 eine Absenkung der Betriebsstättenschwelle ermöglichen würde (basierend auf BEPS-Action 7); dadurch fiele dem Quellenstaat mehr Steuersubstrat zu. Mag die Aufweichung des Betriebsstättenbegriffs beim Warenlager oder der Vertreterbetriebsstätte vor allem beim Online-Handel weiterhelfen, dürfte sich dadurch bei Geschäftsmodellen wie von Google nichts ändern. Abgesehen davon ist zu hinterfragen, ob eine erweiterte Vertreterbetriebsstätte gesamtvolkswirtschaftlich überhaupt vorteilhaft ist (zumal Staaten wie Irland oder die Schweiz diese ablehnen). Dies alles führt zur Frage, ob den angesprochenen Geschäftsmodellen ertragsteuerlich überhaupt beizukommen ist?
Hegt man an den ertragsteuerlichen Erfolgsaussichten ernsthafte Zweifel, sollte man sich auch nach steuerlichen Alternativen umsehen: Dies geschieht gerade in Österreich. So kennt Österreich z. B. eine Werbeabgabe in Höhe von 5 % vom Entgelt für die zu erbringenden Werbeleistungen (z. B. in Zeitungen, Fernsehen oder mittels Postwurfsendungen). Diese Werbeabgabe soll ab 2018 auch auf Online-Werbung ausgedehnt werden; als positiver Nebeneffekt tritt dadurch auch Wettbewerbsgleichheit bei den die Werbung durchführenden Unternehmen ein. Die Einbeziehung von Online-Werbung ist zwar technisch anspruchsvoll (Indien behilft sich z. B. mit einer Quellensteuer), solchen Herausforderungen muss sich das Steuerrecht aber stellen, um “digitalisierungsfit” zu werden. Bei Internetleistungen wie von Google ließe sich eventuell auch über die Umsatzsteuer anknüpfen: Da die Leistungserbringer im Gegenzug für ihre Leistungen die Nutzerdaten (z. B. “Surfverhalten”) erlangen, könnte ein tauschähnlicher Umsatz unterstellt werden. Diese These sorgt derzeit für eine lebhafte Diskussion im österreichischen Schrifttum.
Zurück zur Ausgangsfrage: Gemessen an ihren hochgesteckten Zielen stiftet die Anti-BEPS-RL kaum zusätzlichen Nutzen. Daher lässt sich – literarisch angelehnt – folgendes Fazit ziehen: Viel Lärm um (fast) nichts!
Prof. DDr. Gunter Mayr leitet die Steuerabteilung (Steuerpolitik und Steuerrecht) im Bundesministerium für Finanzen/Wien und lehrt an der Universität Wien (Juridicum); er hielt zur Anti-BEPS-RL einen Vortrag auf der HAARMANN STEUERKONFERENZ 2017.